Apostel
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Weitere Themen
Zeitschrift der Arnsteiner Patres Ausgabe 1/2018
Geistlicher Wegbegleiter
»Die Welt ist Gottes so voll.«
Rückblick auf die Geschichte
des Klosters Arnstein – Teil 1
Zeit zu entdecken, was gut tut!
Fasten
Impressum Apostel (ISSN 1611-0765)
Herausgeber: Provinzialat der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens (Arnsteiner Patres e. V.) • Kardinal-von-Galen- Straße 3 • 59368 Werne
Telefon: 02389 97 01 50 • Fax: 02389 97 01 27 • E-Mail: provinzialat@sscc.de • Internet: www.arnsteiner-patres.de
SSCC ist die Abkürzung der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen, in Deutschland als Arnsteiner Patres bekannt.
Redaktion: Heinz Josef Catrein SSCC (verantw.) • Kerstin Meinhardt • Thomas Meinhardt • Ludger Widmaier SSCC
Weitere Mitarbeitende dieser Ausgabe: Manfred Kollig SSCC, Berlin • Martin Königstein SSCC, Koblenz • Hans-Ulrich Willms SSCC, Münster
Verlag: Meinhardt • Magdeburgstraße 11 • 65510 Idstein • Tel.: 06126 9 53 63-0 • Fax: 06126 9 53 63-11 • E-Mail: info@meinhardt.info • Internet: www.meinhardt.info
Erscheinungsort: Werne Auflage: 5.100 Exemplare Papier: 100 % Recyclingpapier Umschlag: Titel: © fcscafeine – iStock.com; Rückseite: © Manfred Kollig SSCC
Bildnachweise: Auf den Doppelseiten, auf denen die Abbildungen Verwendung finden; Bilder ohne Nachweis: Archive der Ordensgemeinschaft und der Firma Meinhardt
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung von Herausgeber und Redaktion wieder. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Fotos
kann keine Haftung übernommen werden.
Liebe Leserin, lieber Leser!
Sie halten die aktuelle Ausgabe unserer Zeitschrift »Apostel« in Händen. Wir versenden
das Heft vierteljährlich ohne Rechnung an alle Abonnenten. Wie Sie sich sicher
vorstellen können, ist die Erstellung dieser Zeitschrift mit erheblichen Kosten
verbunden. Wir sind deshalb für Spenden auf das unten angegebene Konto dankbar.
Bankverbindung: Arnsteiner Patres e. V., Nassauische Sparkasse Lahnstein,
Stichwort: »Spende Apostel«, IBAN: DE 8651 0500 1506 5612 0010,
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Bei Spenden bis zu 200 Euro genügt dem Finanzamt der Konto auszug als Beleg.
Bei höheren Beträgen senden wir automatisch Spenden bescheinigungen zu.
Kloster Arnstein
Pfingstwochenende 2018
Über Pfingsten (Samstag, 19. Mai, 14.00 Uhr bis
Montag, 21. Mai, 16.00 Uhr) sind alle, die mit dem
Kloster und der Ordensgemeinschaft verbunden
sind, zu einem letzten gemeinsamen Pfingsttreffen
herzlich nach Kloster Arnstein eingeladen.
Anmeldung bitte bis zum 11. April 2018 bei
Marita und Hermann-Josef Mahlkemper,
Tel.: 0 22 54 83 77 94; Bachstr. 19 a, 53919 Weilerswist.
Oasentage
»Gib uns Deinen Frieden« am 21. April 2018, 9.30
bis 16.30 Uhr, Referent: Christopher Campbell,
Abschluss-Oasentag mit den Arnsteiner Patres.
Anmeldung bitte bis zum 11. April 2018:
Kloster Arnstein, 56379 Obernhof (Lahn),
Tel.: 0 26 04 9 70 40, E-Mail: kloster.arnstein@sscc.de
Fußwallfahrt am 27. Mai 2018
Eröffnet wird die diesjährige Wallfahrtssaison (Mai
bis September) mit einer Fußwallfahrt am 27. Mai.
Gestartet wird jeweils um 9.30 Uhr von Nassau
(Evang. Kirche, ist gut von Koblenz und Limburg aus
mit der Regionalbahn erreichbar) und von Singhofen
(Kath. Kirche). Beide Fußwall fahrten nach Kloster
Arnstein dauern ca. 2 Stunden und werden von
Stationen mit geistlichen Impulsen unterbrochen.
Der Weg von Nassau aus weist ein paar Steigungen
auf, von Singhofen führt ein fester Weg ohne Steigungen
nach Kloster Arnstein. Ab 12.00 Uhr beginnt das
Programm in Kloster Arnstein, zu dem auch Einzel-
pilger herzlich eingeladen sind:
12.00 Uhr: Begrüßung in der Klosterkirche
12.15 Uhr: Mittagessen
13.00 Uhr: Kurzvortrag über Pater Chry-
sostemus Lauenroth SSCC, den
Begründer der Arnsteinwallfahrt
ab 13.00 Uhr: Beichtgelegenheit
14.30 Uhr: Hochamt
15.30 Uhr: Kaffee und Kuchen
Hinweis: Wanderer, die ihr Auto in Nassau geparkt
haben, können von Obernhof zurückfahren, nach Sing-
hofen wird vom Kloster aus ein Fahrdienst eingerichtet.
Anmeldung zum Mittagessen bitte in Kloster Arnstein:
kloster.arnstein@sscc.de oder Tel.: 0 26 04 9 70 04 26
Wallfahrt an anderen Tagen
Große Wallfahrtssonntage finden am 3., 10., 17. und
24. Juni statt. An Werktagen heißen wir jeden
Dienstag, Mittwoch und Donnerstag (mit Außnahme
von Fronleichnam) Pilger herzlich willkommen.
Weitere Informationen und Anmeldungen:
Kloster Arnstein, Heinz Josef Catrein SSCC,
56379 Obernhof (Lahn), Tel.: 0 26 04 9 70 40,
Fax: 0 26 04 16 06, E-Mail: provinzialat@sscc.de
Weitere Informationen auch zu den Kulturveranstaltungen in Kloster Arnstein: www.arnsteiner-patres.de
Auf und ab
Wenn Sie dieses Heft in der Hand halten, liegt Neujahr schon lange
hinter uns und auch die damit verbundenen guten Vorsätze.
Vielleicht sind auch die Vorhaben, die wir zu Beginn der Fasten-
zeit, am Aschermittwoch, gefasst haben, schon fast verbraucht.
Nicht schlimm, man kann neue nachschieben: »Ja, bis zum Sommer
sorge ich dafür, dass meine Hosen wieder passen.« Aber auch dies
hält in der Regel nicht lange. Doch es werden sich wieder neue
Gelegenheiten bieten. Im Herbst muss man zum Arzt, und der wird
sagen: »Leben Sie gesünder!« Man nickt gehorsam, geht mit neuen
Vorsätzen ans Werk und endet mit der gewohnten Enttäuschung.
Gute Vorsätze sind wie die Berg- und Talbahn auf dem Rummel-
platz. Man schwebt auf einer Welle des guten Willens nach oben
und fällt dann urplötzlich wieder hinab, ohne einen Schritt weiter-
gekommen zu sein. Ein solches Fasten ist wirklich enttäuschend.
Es muss aber auch enttäuschen, denn es ist kein Fasten.
Was Fasten wirklich heißt, erläutern uns die liturgischen Texte der
Fastenzeit. Da geht es nicht um Gewichtsabnahme und persönliche
Gesundheit. Es geht um eine Welt, die dem Willen Gottes ent-
spricht. Es geht um den Verzicht auf Gewalt und um Versöhnung,
es geht um Gerechtigkeit und um Solidarität mit den Armen,
es geht um die Bewahrung der Schöpfung und Respekt vor dem
Leben in jeder Form.
Richtiges Fasten ist schwerer als irgendein Fitnessprogramm. Es
setzt ein Umdenken im Kopf und eine Umkehr im Handeln voraus.
Es befreit uns aus der Falle des Auf und Ab. Es verspricht keine
kurzfristigen Erfolge, aber den langsamen Aufstieg zum Leben.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gute Zeit im Gedenken an
Tod und Auferstehung Jesu Christi.
Pater Heinz Josef Catrein SSCC
Provinzial der Arnsteiner Patres und
Chefredakteur des »Apostel«
Weitere Veranstaltungshinweise, Nachrichten und unsere wöchentlichen Impulse: www.arnsteiner-patres.de
© Bastos – stock.adobe.com
Monatliche Treffen
in Münster
Geistliche Impulse, Meditation und Stille bilden
den Schwerpunkt der Früh- und Spät-
schichten, zu denen alle Interessierten herz-
lich willkommen sind.
Ort: Arnsteiner Patres, Bohlweg 46, 48147
Münster, Tel.: 02 51 48 25 33
Die nächsten Frühschichten finden jeweils
montags um 6.45 Uhr am 9. April, 7. Mai,
4. Juni und 9. Juli; die nächsten Spätschichten
jeweils donnerstags um 19.30 Uhr am
19. April, 24. Mai, 14. Juni und 12. Juli statt.
Festtag von Pater Damian
Zum 15. April 2018 (11.00 – 17.00 Uhr) lädt
die Ordensgemeinschaft alle Interessierten
herzlich nach Kevelaer ein, um an ihr be-
kanntestes Mitglied zu erinnern. Kevelaer ist
ein guter Ort, um den Kern des Wirkens von
Pater Damian in den Mittelpunkt zu stellen:
»Die Praxis der Nächstenliebe ohne Wenn
und Aber«
Anmeldungen bitte möglichst bald im Provin-
zialat der Arnsteiner Patres, Kardinal-von-
Galen-Straße 3, 59368 Werne (Tel.: 0 23 89
97 01 50, E-Mail: provinzialat@sscc.de).
Citykirche in Koblenz
Koblenzer Nacht der Offenen Kirchen
Am Freitag, dem 27. April 2018, öffnen zum
15. Mal Koblenzer Kirchen nachts ihre Türen.
Von 19.00 bis 23.00 Uhr gibt es ein vielfältiges
Programm in ca. 15 beteiligten Kirchen.
Um 23.30 Uhr endet die Nacht der Offenen
Kirchen mit dem gemeinsamen großen
»Gebet für die Stadt«.
Das Programm der Citykirche wird an diesem
Abend von Mitgliedern des Theaters Koblenz
mitgestaltet.
www.koblenzer-nacht-der-offenen-kirchen.de
Pfingstgottesdienst zum Internationalen
Gitarrenfestival
Am 20. Mai 2018 um 10:30 Uhr findet zum
Abschluss des Internationalen Gitarrenfestivals
ein Pfingstgottesdienst in der Citykirche statt,
der von SchülerInnen und MeisterInnen mit
ihrer Musik mitgestaltet wird. Menschen aus
vielen Kulturen und Ländern verstehen sich
hier in der Sprache der Musik.
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Fastenvorsätze sind ein Dauerbrenner. Jedes Jahr
am Aschermittwoch scheint die Motivation
besonders groß zu sein. Der Hosenbund spannt,
der Schädel brummt ein bisschen, oder das
Portemonnaie ist leer. Vorsätze gibt es dann genug:
40 Tage nicht rauchen, kein Alkohol, wenig essen,
kein Fernsehen. Fasten ist auch ein Geschäfts-
modell: Fastenwandern im Sauerland oder Heilfasten
in »Bad Schmachtlappen«. Und dann gibt es auch
noch moderne Formen des Fastens: 40 Tage ohne
Auto oder ohne Internet.
Fasten gehört zu allen Religionen. Es begegnet uns
im Judentum, im Christentum und im Islam, wo
viele unserer muslimischen Mitbürger den Ramadan
sehr ernst nehmen.
Fasten ist oft aber auch eine »unendliche
Geschichte« von Enttäuschungen: Denn es ist so
schwer durchzuhalten.
»kauf dich glücklich«
»Kauf dich glücklich« lautet der Werbespruch einer
großen deutschen Modekette. »Kauf dich glücklich«
steckt als verborgene Botschaft hinter jedem Werbe-
film. Kauf dir Schönheit mit dieser Hautcreme; kauf
dir Nervenkraft mit diesen Aufbaupillen; kauf dir
Ferienfreude mit diesem Reiseveranstalter; kauf dir
eine glückliche Familie mit diesem großen Auto, wo
Eltern, Kinder und Familienlabrador problemlos hin-
einpassen; plus all das, was du sonst noch zum Glück-
lichsein brauchst: Campingmöbel, Tischgrill, Kinder-
roller und so vieles mehr!
Die Überflussgesellschaft zeigt aber auch ihre Schatten-
seiten. Die Qualität der Produkte ist auf eine kurze
»Lebenszeit« ausgelegt. Und dann ist da noch die
schlichte Tatsache, dass die meisten Leute gar nicht
das Geld haben, sich all die Produkte zu kaufen, die
uns der Markt als unverzichtbare Glücksbringer an-
preist. Müssen diese Menschen dann unglücklich
sein?
Faste und tu dir was Gutes!
Fasten heißt zu fragen,
was ich wirklich brauche
Was die Deutschen am liebsten fasten
Deutsche, die zum Fasten bereit sind,würden
am ehesten auf diese Genussmittel/Konsumgüter
verzichten:
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Faste und tu dir was Gutes!
alles hat seinen preis
Kein Satz ist so zum Glaubensbekenntnis unserer Zeit
geworden wie der Satz von der unbestreitbaren Not-
wendigkeit wirtschaftlichen Wachstums. Wachstum
scheint der Schlüssel zum Glück und ist das Glaubens-
bekenntnis politisch so unterschiedlicher Personen
wie Trump, Merkel, Putin oder Xi Jinping. Alle wollen
wachsen, aber nicht jedes Wachstum ist vorteilhaft.
Alles hat seinen Preis. Es steigt die Temperatur, und
es wachsen die Müllberge. Unsere Erde leidet. Uns
selbst bekommt Wachstum auch nur bedingt. Wir
bezahlen unseren Preis mit Wohlstandskrankheiten
wie Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes. Wer
denkt darüber nach, dass das industrielle Wachstum
nicht allen Menschen gleichmäßig zugutekommt?
Im Gegenteil! Wachsende Ungleichheit schafft Neid
und Wut.
Ganze Regionen oder sogar Länder sind benachteiligt,
ohne dass sie fauler oder dümmer gewesen wären als
andere. In Deutschland liegen solche Gebiete oft im
Osten unseres Landes. Sich abgehängt fühlen, führt
leicht zu politischen Problemen. Parteien mit allzu
einfachen Antworten erhalten Zulauf, Fremdenfeind-
lichkeit macht sich breit, und ein hemmungsloser
Nationalismus bricht sich Bahn.
Alles hat seinen Preis. Wer zählt die kaputten mensch-
lichen Beziehungen, die entstehen, wenn Geld und
Gut wichtiger werden als menschliche Nähe?
Wer vernünftig fastet,
fragt nach dem Preis
Was die Deutschen am liebsten fasten
Representative Bevölkerungsbefragung, 6. bis 8. Februar, 1.036 Befragte, Quelle: DAK; © Bild oben: Getty Images – iStockphoto
entdecke, was dir guttut
»Hans im Glück« ist ein bekanntes und sehr eigen-
artiges Märchen der Gebrüder Grimm. Hans erhält
einen Klumpen Gold für lange, treue Tätigkeit, aber
der wird ihm zu schwer. Er tauscht das Gold zunächst
gegen ein Pferd, dann gegen eine Kuh, gegen ein
Schwein, eine Gans und einen Schleifstein. Zum Schluss
ist er so tapsig, dass der Schleifstein in einen Brunnen
fällt. Hans aber jubelt, endlich fühlt er sich frei.
Deutsche, die zum Fasten bereit sind,würden
am ehesten auf diese Genussmittel/Konsumgüter
verzichten:
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Für jeden »normal« denkenden Menschen ist Hans
ein Vollidiot. Wie kann man denn so wirtschaften?
Es ist verräterisch, dass die meisten den Nachsatz des
Märchens übersehen: »Mit leichtem Herzen und frei
von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei
seiner Mutter war.« Hans hat offenbar doch nicht
alles verloren. Er hat ein »Daheim«. Glücklich im
Herzen kehrt er zu seiner Mutter zurück mit der Er-
kenntnis, dass Hab und Gut nicht alles sind. Im Neuen
Testament steht übrigens ein ähnlicher Satz:
»Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt
gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden
nimmt?« (Lk 9,5)
Hans im Glück entdeckt, was gut für ihn ist. Dieser
Satz beschreibt den Grundgedanken eines jeden
Fastens. Es geht nicht ums Verzichten, es geht ums
Gewinnen.
Fasten hat mit Selbstbewusstsein zu tun. Ich lasse
mir nicht von anderen einreden, wie ich auszusehen
habe, was ich kaufen soll oder welche Musik mir
zurzeit gefallen muss.
fasten als schule des lebens
40 Tage dauert die katholische Fastenzeit. 40 ist eine
symbolische Zahl und bezeichnet im biblischen
Sprachgebrauch nichts anderes als eine sehr lange
Zeit. Es geht nicht nur um 40 Kalendertage, sondern
um das ganze Leben. Der Theologe Ulrich Lüke nennt
die Fastenzeit ein »Trainingslager der Menschlich-
keit« – ein schöner Vergleich. Das Trainingslager soll
uns fit machen für das große Spiel des Lebens. Ich
habe davon gesprochen, wie wichtig ein gutes Ver-
hältnis zu sich selbst ist. So gehört zum Fasten immer
auch das Beten. Unser Fasten richtet den Blick zu-
nächst auf uns selbst und auf unseren Nächsten. Doch
wenn ich wirklich mit der Frage beschäftigt bin, worin
der Sinn meines Lebens besteht, dann kann mir die
Offenbarung der Heiligen Schrift sehr hilfreich sein.
Das Streben nach Recht, Gerechtigkeit und Nächsten-
liebe steht für mich auf einer soliden Grundlage, wenn
ich mich an Jesus Christus orientiere. In zwei Stunden
wird man kein neuer Mensch, auch nicht in 40 Tagen.
Der neue Mensch erwächst aus Fasten und Beten,
und dieser Prozess ist eine Lebensaufgabe.
heinz josef catrein sscc
denk nicht nur an dich!
»In zwei Stunden ein neuer Mensch« lautet die Re-
klame eines deutschen Thermalbades. Die Mittel:
Schwimmen, Sauna, Massage, Fitnessstudio und ein
Nickerchen in der Ruhezone. Dass dies guttut, steht
außer Frage, ob es einen neuen Menschen hervor-
bringt, bezweifle ich dagegen sehr. Um ein neuer
Mensch zu werden, muss ich mit mir selbst im Reinen
sein, in gutem Einvernehmen mit meinen Mitmen-
schen leben und auch eine Vorstellung davon haben,
welchen Sinn mein Leben hat. Die großen Religionen
haben das Fasten immer in diesem Rahmen gesehen.
Fasten befreit von oberflächlicher Trieb- und Bedürfnis-
befriedigung. Fasten lehrt mich, eigenes selbstzerstörer-
isches Verhalten wahrzunehmen, also das, was mit
dem »altmodischen« Wort »Sünde« gemeint ist. Fasten
heißt, für Gerechtigkeit zu kämpfen und mit den
Armen zu teilen.
Fasten heißt,
auch an die anderen zu denken
Fasten und Beten gehören zusammen
Plakat der diesjährigen Misereor-Fastenaktion.
Weitere Informationen: www.misereor.de
Bild © Misereor/Kopp
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Fasten heißt zu entdecken,
was heilsam ist
»Die kostbare Perle«
Entdecke, was dich wirklich glücklich macht
»In dunkler Nacht wollen wir ziehen, lebendiges
Wasser zu finden. Nur der Durst zeigt uns den Weg
zur Quelle, nur unser Durst zeigt uns den Weg«, so
könnte ein bekannter Taizé-Liedvers übersetzt werden.
Der Durst, die Sehnsucht zeigen uns den Weg. Sehn-
sucht wird aus einem Mangel heraus geboren, ent-
springt aus einer Leere. Ich sehne mich nach dem,
was ich nicht bin oder habe. Ich sehne mich nach
dem, was mir fehlt, um glücklich und erfüllt zu sein.
Gertrud von Helfta drückt es so aus: »Vor dir steht
die leere Schale meiner Sehnsucht.« Die Menschen,
die Jesus suchten, hatten sich auf den Weg gemacht zu
ihm, weil sie – wie die drei Magier aus dem Orient –
den neugeborenen König suchten; andere machten
sich auf den Weg zu Jesus, weil sie blind, weil sie
hungrig, weil sie leprakrank waren, weil ihre Tochter,
weil der Knecht schwer krank war, … weil sie in Jesus
den politisch-sozialen Befreier sahen. Der Durst, die
Sehnsucht zeigen den Weg. Die Menschen, die zu
Jesus kamen, wurden von ihm gefragt: »Was kann
ich für dich tun?« Sie mussten ihren Mangel benen-
nen, damit Jesus ihn füllen konnte.
Was ist es, was mich wirklich glücklich macht?
Wie finde ich das, was mich erfüllt, was so wertvoll und gut
ist, dass es mich zufrieden macht?
Wie kann es mir gelingen, dass ich Ersatzglücksbringer
unterscheide von dem, was mir wahre Erfüllung und Freude
schenken kann?
Unsere Sehnsucht zeigt
uns den Weg
Das, was wirklich glücklich macht, ist also nicht für
alle Menschen das Gleiche. Wenn Jesus vom »Leben
in Fülle« (Johannes 10, 10) oder von der »Freude in
Fülle« (Johannes 17, 13) oder vom Reich Gottes
redet, ist das für jeden Menschen eine ganz persön-
liche Antwort auf die tiefe Frage seines Lebens, seiner
Sehnsucht. Um also zu entdecken, was mich wirklich
glücklich machen kann, ist es hilfreich mich selbst
zu kennen, also auch meinen Mangel, meine Leere,
meine Schwäche zu benennen. Von dort aus kann
ich mich der Erfüllung meiner Sehnsucht entgegen-
strecken.
Bild Perle © Laurent Renault – iStock.com
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Die Kunst des Gelingens
»Regelmäßig Sport machen!« stand auf
der Liste meiner Vorhaben zum Jahres-
beginn. »Fernsehfasten« und »Kein Süß-
kram« hatte ich mir ab Aschermittwoch
geschworen. »Der Geist ist willig, aber
das Fleisch ist schwach« könnte als Über-
schrift über meiner umfangreichen Aus-
redensammlung stehen. Über die indivi-
dual psychologischen Gründe, weshalb
unsere guten Vorsätze scheitern, gibt es
viele gelehrte Fachbücher und Hunderte
an Ratgebern zum Thema Motivation.
Offensichtlich fehlt es mehr Menschen
an der gewünschten Selbstdisziplin …
Wundern Sie sich gelegentlich, wie es sein
kann, dass Sie die mit sich selbst getroffenen Verab-
redungen nicht einhalten? Dabei waren Sie so
überzeugt davon, das wirklich zu wollen
Je ehrlicher ich mit mir selber bin,
desto deutlicher weiß ich, wonach
ich mich sehne und was meine Sehn-
sucht erfüllen kann und was nicht.
Wir leben in einer Zivilisation, in der
ich oft nicht mehr weiß, was meine
wirklichen Bedürfnisse oder Wünsche
sind und was mir Werbung, Medien
oder mein soziales Umfeld als das
vorgegaukeln, was ich unbedingt
haben muss, um glücklich zu sein.
Amazon weiß, was ich wünsche, bevor
es mir in den Sinn gekommen ist, und
bietet es an, noch bevor ich es aus-
drücken kann. In einer solchen Welt
ist die Unterscheidung meiner Wün-
sche nicht einfach und verlangt Wach-
samkeit. Und es geht nicht nur darum
zu unterscheiden, sondern es geht um
»Reinigung«, um Entgiftung von all
dem, was täuscht, was falsch ist, was
mich auf den Holzweg führt. Das ist
nicht leicht und kann schmerzlich
sein, und es können sich Entzugs-
erscheinungen einstellen wie bei
einem Drogen- oder Alkoholentzug.
In der Bergpredigt finden wir bei Mat-
thäus diese Seligpreisung: »Selig die
reinen Herzens sind; denn sie werden
Gott schauen« (Matthäus 5, 8). Das
»reine Herz« – das heißt die fortschrei-
tende Entgiftung von all dem, was
mich nicht wirklich erfüllen kann – ist
die Voraussetzung dafür, dass ich mich
dem öffnen kann, durch das mein Herz
zur Ruhe und zum Frieden kommt.
Wir erinnern uns an Augustinus, der
in seinen Bekenntnissen schreibt: »Zu
dir hin, o Gott, hast du uns erschaffen,
und unruhig ist unser Herz, bis es ruht
in dir.« Augustinus hat lange gesucht
nach dem, was ihm Ruhe und Frieden
geben kann. Als er aber die »kostbare
Perle«, von der in Matthäus 13, 45 die
Rede ist, gefunden hatte, ist er in der
Lage alles »zu verkaufen«, um frei zu
werden für den, der seinem Leben Sinn,
Frieden und Freude geben kann.
martin königstein sscc
ist Superior des Konventes der Arnsteiner
Patres an der Citykirche in Koblenz
Fasten ist
Entgiftung des Herzens
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Die Kunst des Gelingens
»Wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt immer Knecht«,
weiß der Volksmund. Für mich ist ein »Du musst!«
indes eine wirkungsvolle Methode, mein eigenes Vor-
haben zu torpedieren. Wenn ich mich gedanklich mit
elterlicher Strenge vor mir aufbaue und mir mit Be-
fehlen oder Verboten komme, reagiere ich bedauer-
licherweise automatisch mit kleinkindhaftem Trotz.
»Du darfst keine Schokolade!«: von wegen, jetzt erst
recht! Bei selbst formulierten inneren Botschaften
wie »Ich esse keine, weil ich mir damit was Gutes
tue!« wird es deutlich schwerer, mir selbst in den
Rücken zu fallen.
Überhaupt scheint die gedankliche Verbindung mit
dem Guten hilfreich zu sein. Ich vermute, dass der
Rat, den Jesus seinen Begleitern im Garten Gethse-
mani mit dem Hinweis auf den willigen Geist und
das schwache Fleisch gab, als die Empfehlung zu
verstehen ist, sich mit dem allumfassend Guten zu
verbinden. Es ging ihm mit dem Hinweis zu beten,
gewiss nicht darum, dass die Jünger sich mit auswen-
dig gelernten Texte wachhalten sollten.
Fasten heißt, sich Herausforderungen zu stellen
Erfolgversprechender ist die Strategie gedanklich
vorwegzunehmen, wie gut es sich anfühlen wird,
wenn die Steuererklärung fertig ist. »Wie beschwingt
und froh werde ich sein, wenn ich den Umschlag
zuklebe! Was werde ich Schönes tun, wenn ich den
Posten von meiner To-do-Liste gestrichen habe?«
Je bildhafter die Vorstellung der Situation des Gelin-
gens ausgemalt wird, umso besser. Innerliche Ver-
bündete gegen drohende Anfälle von Aufschieberitis
lassen sich auch gewinnen, wenn Erinnerungen an
all die Male wachgerufen werden, in denen eine solche
Aufgabe bereits erfolgreich bewältigt wurde.
»Der Weg in die Hölle ist gepflastert mit guten Vor-
sätzen!«, heißt es. Damit können nur solche gemeint
sein, die wir nicht durchhalten, weil wir uns überfor-
dern und vor allem weil wir nach dem Motto verfahren:
»Jetzt habe ich es einmal nicht geschafft, jetzt kann
ich es auch ganz sein lassen!« Da hilft nur weniger
Perfektionismus und Strenge mit sich selbst. Der Weg
in den Himmel ist nämlich ebenfalls gepflastert mit
guten Vorsätzen, und zwar mit solchen, bei denen
wir immer wieder – auch nach mehrmaligem Schei-
tern – voll Vertrauen einen neuen Anlauf gewagt
haben.
Ich bewundere disziplinierte Menschen, die solche
»Kniffe« nicht nötig haben. Für alle anderen gilt wie
für mich: Die Kunst des Gelingens der eigenen Vor-
haben muss geübt werden – so wie alle Kunstfertig-
keiten. Die gute Nachricht: Wir dürfen jederzeit damit
anfangen, unsere Vorsätze wahr zu machen. Wir
müssen nicht auf Silvester, Aschermittwoch, nach
den Ferien … warten. Und es muss nicht zu 100 %
klappen! Ein fehler- und versagensfreundlicher Um-
gang mit sich selbst ist ein guter Anfang.
kerstin meinhardt
ist Apostel-Redakteurin und Diplom-Soziologin.
Sie lebt in Idstein im Taunus.
Wer fastet, gibt bei
Hindernissen nicht gleich auf
Neben der gedanklichen Verbindung mit dem Guten
ist ein Blick auf das, was ich gewinne, wenn ich an
meinen Vorhaben festhalte, hilfreich. Es gibt zwar
Menschen, die eine lustvolle Bestätigung ihrer schon
fast übermenschlichen Stärke erleben, wenn sie sich
gedanklich auf ihren Verzicht fixieren, aber da be-
wegen wir uns wohl eher im pathologischen Bereich.
»Ich kann an diesem Wochenende nicht mit den
Freunden wegfahren, ich muss hierbleiben, weil ich
nun endlich die Steuererklärung machen muss!« Ein
solcher Gedanke wird die meisten von uns vermut-
lich nicht am Samstagmorgen an den Schreibtisch
treiben. Oft genug werden die Kreise um die zu be-
arbeitenden Belege von Stunde zu Stunde weitläufiger,
um dann in einer Suche nach Tröstern für den Ver-
zicht zu münden.
Fasten bedeutet, einen fehler-
freundlichen Umgang zu üben
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Die Heiligsten Herzen
Die Heiligsten Herzen werden von vielen Menschen sehr unterschiedlich
gedeutet. Einige sehen in ihnen das Symbol einer süßen und einfältigen
Frömmigkeit, die auf einem primitiven Jesus- und Marienbild beruht,
das uns heute wenig zu sagen hat: ein vertröstendes Bild, das eine Ver-
änderung des Lebens verhindert. Andere sehen in den Herzen ein poli-
tisches Symbol, das die katholische und absolute Monarchie gegen die
protestantischen und liberalen Ideen der Moderne in Stellung bringt.
Beide Auffassungen halte ich für wenig hilfreich, um zu verstehen, worum
es bei diesem Symbol geht.
Die Heiligsten Herzen als Symbol des wahren Glücks drücken sich für
mich vor allem in zwei Bildern aus. Da ist einmal ein Bild der Kreuz-
wegstationen in Kloster Arnstein. Maria hält ihren toten Sohn Jesus in
den Armen, und die beiden Gesichtshälften verschmelzen zu einem Ge-
sicht. Der leidende Gottesknecht und seine verzweifelte Mutter werden
zu einem Bild, in dem Gott sich im Antlitz des Menschen zeigt. Der
Kreuzweg hat ja seinen Sinn in der Auferstehung, die uns bezeugt, dass
Leid und Tod nicht das letzte Wort haben werden und dass es ein Stück
der Gegenwart Gottes in unserem Leben gibt, das trotz Leid und Tod
wirksam und wirklich wird. Interessant finde ich die Wechselwirkung
der verschiedenen Ebenen. Da ist zum einen das
Spiel zwischen Maria, der Lebendigen, die uns sterb-
liche Menschen symbolisiert, und Jesus, dem Toten,
der für den unsterblichen Gott steht. Zum anderen
ist da das Spiel zwischen Maria, der Mutter, die die
Zuwendung Gottes zu uns Menschen symbolisiert,
und Jesus, dem Sohn, der für uns notleidende Men-
schen steht. Gott wendet sich uns Menschen zu –
und ist gegenwärtig. Das ist für mich ein Zeichen
für ein Glück, das keinem genommen werden kann.
Das andere Bild sind die beiden Herzen, die inein-
ander verschlungen sind – ganz einfach. Das Herz
Jesu mit dem Kreuz, das Herz Mariens mit der Flam-
me. Auch dieses ist ein Zeichen dafür, dass sich das
Glück der Menschen ereignet, wenn wir einander
zugewandt leben, wenn wir etwas von der Nächs-
tenliebe verwirklichen, zu der Jesus uns ruft – und
in der Gott selbst auf uns zukommt, im Anderen.
Diese Zugewandtheit – so sagt dieses Bild mir – ist
ein Zeichen des Glücks: ein Zeichen, dass Gott ein
Freund der Menschen ist, dass Gott unser Freund
ist.
ludger widmaier sscc
ist Seelsorger an der Citykirche in Koblenz
und lebt im dortigen Konvent
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Geistlicher Wegbegleiter 2018 | Anregungen für das Frühjahr | Die Welt ist Gottes so voll.
Geistlicher Wegbegleiter 2018 | Anregungen für das Frühjahr | Die Welt ist Gottes so voll.
Geistlicher Wegbegleiter 2018 | Anregungen für das Frühjahr | Die Welt ist Gottes so voll.
Geistlicher Wegbegleiter 2018 | Anregungen für das Frühjahr | Die Welt ist Gottes so voll.
Geistlicher Wegbegleiter
Wie wird es weitergehen mit der katholischen Kirche
in unserem Land? Welche Bedeutung werden die Chris-
ten in Zukunft haben? Hat Religion in unserer Gesell-
schaft dann überhaupt noch eine Bedeutung? Geht es
nicht mit Gott bergab?
In unserer Kirche stehen große Veränderungen an.
Pfarreien werden zusammengelegt, katholische Bil-
dungs-, Gesundheits- und Beratungseinrichtungen
geschlossen; Rückbau statt Aufbau. Für Menschen,
die sich daran gewöhnt haben, dass das Gute immer
größer und stärker werden muss, ist das schwer zu er-
tragen. Nicht wenige legen ihr freiwilliges Engagement
in kirchlichen Gremien und Gruppen nieder. Wer will
schon zu den Verlierern gehören?
Diese Situation hat mich in den zurückliegenden 20
Jahren beschäftigt. Was lehrt uns diese Entwicklung?
Was könnte Gott uns damit sagen wollen? Ich möchte
die Leserinnen und Leser des »Apostel« einladen, in
den kommenden zwei Jahren darüber nachzudenken
und zu beten:
Dass wir als Katholiken und Christen nicht
mutlos werden.
Dass wir nicht an der Gegenwart Gottes
zweifeln, sondern sie bezeugen.
Dass wir das Wesen und das Wesentliche
unserer Kirche neu entdecken.
»Die Welt ist Gottes so voll.« Dieses Bekenntnis hat
der Jesuitenpater Alfred Delp am 17. November 1944
mit gefesselten Händen aufgeschrieben, nur wenige
Wochen vor seiner Hinrichtung im Gestapogefängnis
Berlin-Tegel. Unter extrem schwierigen Bedingungen
und in Todesangst hat er anerkannt: Die Welt ist Gottes
so voll.
Die nachfolgenden Monatsimpulse laden ein, im All-
tag genauer hinzusehen. Sie sind getragen von meiner
Überzeugung: In der Welt, in der wir leben ganz
gleich ob in Koblenz oder Münster, in Werne oder
Berlin, im Ruhrgebiet oder in der Eifel, im Münsterland
oder im Rheinland, in Deutschland oder in Belgien.
Überall sehen wir Teile der Welt und haben täglich die
Chance, Gott in ihnen zu entdecken. Lassen Sie uns
Welt sehen und Gott ahnen.
pater manfred kollig sscc
ist Generalvikar des Erzbistums Berlin
»Das eine ist mir so klar und spürbar wie selten:
Die Welt ist Gottes so voll.
Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen.
Wir aber sind oft blind.
Wir bleiben in den schönen und bösen Stunden hängen
und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt,
an dem sie aus Gott herausströmen.
Das gilt für alles Schöne und auch für das Elend.
In allem will Gott Begegnung feiern
und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort.
Die Kunst und der Auftrag ist nur dieser, aus diesen Einsichten und Gnaden
dauerndes Bewusstsein und dauernde Haltung zu machen
und werden zu lassen.
Dann wird das Leben frei in der Freiheit, die wir immer gesucht haben.«
alfred delp sj
apostel
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Geistlicher Wegbegleiter 2018 | Anregungen für das Frühjahr | Die Welt ist Gottes so voll. Geistlicher Wegbegleiter 2018 | Anregungen für das Frühjahr | Die Welt ist Gottes so voll.
Gott, unser Vater,
alles Gute kommt allein von dir.
Öffne unsere Sinne,
damit wir aufmerksam wahrnehmen,
wo du wirkst.
Amen
Alles Gute sehen
Vor Weihnachten besuchte ich in einem Berliner
Kranken haus alle Patienten, die dies wünschten. So
kam ich auch zu einem alten Mann, der mir sagte, er
habe nie an einen Gott geglaubt. Ich sagte ihm, dass
auch ich Situationen kenne, in denen ich bezweifle,
dass es einen Gott gibt. Aber durch den Zweifel hin-
durch käme ich bis jetzt immer wieder zu dem Er-
gebnis: Es muss einen Gott geben. Sonst wäre ja
alles vom Menschen und von Zufällen abhängig.
Das könnte ich noch weniger glauben als einen
Gott. Wir sprachen über den gefühlten und tat-
sächlichen Gesundheitszustand und über seine
Einsamkeit. Am Ende sagte ich ihm: Vielleicht ver-
bindet uns über den kurzen Besuch hinaus der
Zweifel: Als gläubiger Mensch zweifle ich manchmal
daran, dass es Gott gibt; Sie zweifeln vermutlich ab
und zu daran, ob es stimmt, dass es ihn nicht gibt.
Ich verabschiedete mich, wünschte ihm alles Gute
und begann aus dem Zimmer zu gehen. Er sagte:
»Können wir ein Vaterunser beten?« Er selbst
startete bis zu der alten Formulierung: »der
du bist im Himmel«. Dann wusste er nicht
weiter und bat mich, meine Hand haltend,
alleine weiterzubeten. Ein Ungetaufter,
einer, der von sich sagt, er glaube an kei-
nen Gott, bittet um das Gebet, das kurz
und bündig ist, das Wesentliche beinhaltet
und von Jesus empfohlen wird.
Unvermutet, ungeplant und unerwartbar wird
Gott Thema, kommt es zu einem Gespräch
über Gott und zum Gebet, zum Gespräch mit
Gott. Die Welt ist Gottes so voll; auch im Kranken-
haus; auch angesichts von Leiden und Sterben; auch
unter den Ungetauften und in deren Leben und Person.
Die österliche Bußzeit ist stets eine Einladung, uns
dem zu stellen, was »unvollkommen« ist: schmerz-
haft, weil es vom Versagen her kommt; leidvoll, weil
es ohne Schuld als Krankheit, Unglück oder Begren-
zung über uns hereinbricht; irritierend, weil es unsere
Pläne und Wünsche durchkreuzt.
Diese Situationen sind für Gott der Stoff, aus dem er
eine gute Geschichte machen kann. Glauben Sie das?
Haben Sie es schon einmal erlebt? Können Sie darüber
mit anderen Menschen sprechen? Möchten Sie es
(wieder) entdecken?
Die Welt ist Gottes so voll.
Aufmerksam nach den
kleinen Boten im
Alltag suchen …
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apostel
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Geistlicher Wegbegleiter 2018 | Anregungen für das Frühjahr | Die Welt ist Gottes so voll.
Geistlicher Wegbegleiter 2018 | Anregungen für das Frühjahr | Die Welt ist Gottes so voll.
Geistlicher Wegbegleiter 2018 | Anregungen für das Frühjahr | Die Welt ist Gottes so voll.
Ende Dezember saß ich in einem ICE-Zug, in dem
alle Sitzplätze besetzt waren und einige Passagiere
stehen mussten. Der Zugbegleiter sagte freundlich
zu einer Mutter, die mit ihrem etwa 7-jährigen Jungen
an der Tür zum Großraumwagen stand: »Sie können
gerne mit Ihrem Sohn in die 1. Klasse wechseln.«
Bevor die Mutter etwas sagen konnte, antwortete der
Junge mit lauter Stimme: »Ich gehe schon in die 2.
Klasse.«
Ein wunderbares und zugleich witziges Beispiel für ein
Missverständnis. Der Junge verbindet mit dem Wort
»Klasse« seine Schule. Er legt Wert darauf, in seinem
Wachsen und Reifen richtig erkannt und eingestuft zu
werden. Er möchte nicht kleingeredet werden.
Im Frühjahr sagen Menschen mit Blick auf den Gar-
ten: Wir haben gesät, aber es ist noch nichts zu sehen.
Später heißt es: Die Tomaten sind noch nicht reif. Mit
Blick auf Menschen sagen wir: Die sind noch nicht
erwachsen. Mit Blick auf Christen: Die sind noch nicht
richtig katholisch. Wir beurteilen Menschen und Situ-
ationen gerne vom Ziel her. So nehmen wir in den
Blick, was noch fehlt. Wir übersehen das Erreichte,
den Wachstumsprozess und das Reifen. Wir irren,
wenn wir glauben: Gemessen an den zehn, zwölf oder
dreizehn Schuljahren, sei es egal, ob ein Kind in der
ersten oder zweiten Klasse ist.
Wir Menschen können das Reifen im Inneren über-
sehen oder erkennen, ermöglichen oder behindern,
indem wir die Natur, die Mitmenschen und uns
selbst pflegen oder zerstören. Aber wir können
das Reifen nicht machen. Im Reifen zeigen sich
Gottes Kraft und Geduld. Er ermöglicht das
Wachsen und gibt die Chance, erwachsen zu
werden. Er hält nicht klein, sondern lässt uns
größer werden bis zum Ende, an dem er uns
vollendet.
Entdecken Sie, dass Sie reifen? Erkennen Sie an,
dass andere Menschen – Ihre Kinder und Enkel-
kinder, Ihre Ehefrau oder Ihr Ehemann, Ihre Freun-
dinnen und Freunde, Nachbarinnen und Nachbarn,
Kolleginnen und Kollegen reifer werden? Glauben
Sie auch an das Reifen in Zeiten, die eher Rückbau
und Nachlassen mit sich bringen? Sind Sie geduldig
und gestehen zu, dass alles Wachsen seine Zeit
braucht?
Entdecken, was drin steckt
Gott, du schenkst den Anfang und
die Vollendung. Du lässt mich säen und
pflanzen. Du lässt mich hoffen und
erkennen, dass die Natur und in ihr jeder
Mensch reifen kann. Du bist geduldig mit mir und
lässt mich selbst reifen. Lass mich erkennen,
dass du in allem lebst und wirkst,was reift
bis zur Vollendung.
Amen
Die Welt ist Gottes so
voll. Blatt für Blatt
immer wieder stauen …
Bild links: © SorenP – iStock.com, Bild rechts: © assalve – iStock.com
apostel
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Geistlicher Wegbegleiter 2018 | Anregungen für das Frühjahr | Die Welt ist Gottes so voll. Geistlicher Wegbegleiter 2018 | Anregungen für das Frühjahr | Die Welt ist Gottes so voll.
Ich stehe in der Schlange an der Kasse eines Super-
marktes. Noch zwei Personen sind vor mir. Die Kas-
siererin nennt der Kundin an der Kasse den Betrag.
Diese nimmt alles Geld aus ihrem Portemonnaie; von
den 42,58 Euro fehlen ihr am Ende 26 Cent. Die Kun-
din wird nervös, die Kassiererin spricht von »Storno«
und ruft eine Vorgesetzte, hinter mir die Kommentare
von Ungeduldigen. Es entsteht ein gereiztes und an-
gespanntes Klima. Vor mir steht ein Kunde, dessen
Gelassenheit mich begeistert. Während die Gereiztheit
bei vielen steigt und die Vorgesetzte mit dem Kassen-
schlüssel kommt, die betroffene Kundin überlegt,
welche Ware sie stornieren lassen soll, die Kassiererin
stöhnt und die Kunden hinter mir meckern, legt er
seelenruhig die 26 Cent auf die Theke und sagt: »Ich
bin immer für die einfachen Lösungen.«
Der Katholikentag, der im Mai dieses Jahres in Müns-
ter stattfindet, erinnert an den Auftrag Jesu, den Frie-
den zu suchen. Unfriede entsteht, wo Menschen ihrem
eigenen Vorteil hinterherjagen und sich durchsetzen,
koste es, was es wolle. Der Friede wird zerstört, wo
Menschen glauben, sie könnten sich aufgrund ihrer
Fähigkeiten, ihrer Ämter und Titel, kurzum aufgrund
ihrer Stärke alles erlauben und andere unterdrücken.
Der Friede wird gefährdet, wo alle sich stur hinter Re-
geln verschanzen und nur das tun, was sie aufgrund
von Recht und Ordnung tun müssen.
In der wahren Geschichte aus dem Supermarkt
hat niemand Unrecht getan. Und doch wurde das
friedliche Miteinander gestört: durch die unkon-
zentrierte Kundin, die mehr in den Wagenkorb
legte, als sie bezahlen konnte; aber auch durch
alle anderen, die taten, was sie mussten, genau
das und nicht mehr. Und dadurch, was sie zusätz-
lich taten: Sie setzten ihre Energie für Meckern ein.
Entspannung kam durch den Kunden, der tat, wozu
er nicht verpflichtet war. Eigentlich irritierte er das
gewöhnliche Verhalten. Und die Szene beruhigte sich.
Kennen Sie solche »Friedensgeschichten«? Kennen
Sie Beispiele dafür, dass das einfache Einhalten von
Regeln nicht genügt, um den Frieden zu schaffen oder
zu sichern? Suchen Sie den Frieden überall? Kennen
Sie Situationen, in denen es um ein paar Cent – um
Dinge von geringer Bedeutung – geht, aber dadurch
der Friede gestört wird? Kennen Sie Friedensstifte-
rinnen und -stifter in Ihrer Nähe?
Den Frieden suchen
Jesus Christus, »Friedensfürst«,
schenke die Kraft zum Frieden mit mir,
damit ich zufrieden mit meiner Geschichte
leben kann. Schenke Kraft zum Frieden mit
meiner Familie,mit den Kolleginnen und Kollegen,
mit ... Öffne die Herzen aller Menschen, damit wir
gemeinsam täglich beitragen zum Frieden
zwischen den Religionen und Völkern in der
Einen Welt.
Amen
Die Welt ist Gottes so
voll. Schönheit im
zufälligen Zusammen-
treffen entdecken …
© ThomasVogel – istock.com
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apostel
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Wo früher das
›Ewige Lob Gottes‹
der Prämonstra-
tenser erscholl, da herrschte nun Schweigen. Die
früheren Bewohner mussten im Jahre 1803 aus poli-
tischen Gründen Kirche und Kloster verlassen (…)
Sollten diejenigen, die das verursachten, das letzte
Wort behalten? Dieser Gedanke kam mir unerträglich
vor. Nein! Arnstein musste wieder zum Leben erwa-
chen. Lange blieb ich im alten Chorgestühl sitzen,
bald betend, bald mit mir selbst im Gespräch. Da kam
mir der Gedanke, den ich so oft in der Predigt entfaltet
hatte: ›Wo immer wir wohnen, soll das Herz-Jesu
thronen.‹ Das Altarbild der Arnsteiner Kirche (ein
Marienbild) war eine dürftige Kopie der Madonna
wenn einer alleine träumt … – so fing es an
1918 – die Welt, die auf das für Deutschland trauma-
tische Ende des Ersten Weltkriegs zusteuert, wird nie
mehr das sein, was sie gewesen ist vor dem Erleben
des massenweisen, industrialisierten Abschlachtens
in den Schützengräben und dem Versagen aller gesell-
schaftlichen und politischen Eliten und Ordnungen.
In dieser Schwellenzeit, die die Menschen nicht nur
in Deutschland tief verstört, führt der Weg den Initiator
der Arnsteinwallfahrt und ersten Pilgerleiter, Pater
Chrysostomus Lauenroth SSCC, nach Kloster Arn-
stein. In einem Beitrag zum 40-jährigen Bestehen der
Arnsteinwallfahrt schreibt er 1964 im Apostel: »Die
Kirche war sauber, aber das geräumige Gotteshaus
atmete die Luft einer unerträglichen Verlassenheit.
Burg Arnstein an der Lahn wird als Sitz der
Grafen von Arnstein erstmals erwähnt
Ludwig III., der letzte Graf von Arnstein, wandelt seine Burg
in eine Prämonstratenser-Abtei um und tritt dort ein
Der Mönch Lunandus beendet seine Arbeit an
der berühmten Arnstein Bibel im Kloster Arnstein
1052
1139
1172
Mit den Namen ist es so eine Sache. Namen bleiben nie einfach
nur Namen. Namen speichern Erfahrungen, Lebenswelten, ganz
konkrete Lebensgeschichten. Sie sind Lebenston-Träger.
Arnstein an der Lahn ist seit circa 900 Jahren mehr als eine Orts-
angabe: ehemals Burg der Grafen von Arnstein; von 1139 bis 1803
Prämonstratenser-Abtei; ab 1919 bis zum 31. 12. 2018 Kloster der
Arnsteiner Patres und als Wallfahrtsort mit Pfarrseelsorge und
Jugendbegegnungsstätte eine Oase am Weg. Arnstein ist ver-
bunden mit unzähligen Lebensmelodien.
Mehr als nur ein Name
Rückblick auf die Geschichte
des Klosters Arnstein – Teil 1
apostel
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von Deger. Es passte in seiner Linienführung absolut
nicht in den Stil des Arnsteiner Barockaltars. Dort
würde eine königlich thronende Herz-Jesu-Darstellung
den Gedanken der Herz-Jesu-Thronerhebung herrlich
verwirklichen. Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr
los.«
wenn viele gemeinsam träumen …
gedacht, getan!
Spontan fährt Pater Chrysostomus zum Diözesanbi-
schof nach Limburg, um von ihm die Genehmigung
zu erhalten, das zerstörte und verwahrloste Kloster
zu besiedeln und mit neuem Leben zu erfüllen. Bi-
schof Augustinus Kilian stimmt sofort freudig zu.
Bereits am 1. Mai 1919 feiert Pater Chrysostomus
sein erstes Hochamt in der einsamen und verlassenen
Klosterkirche. Sein Anliegen formuliert er so: »Möge
die Sonne des göttlichen Herzens über Arnstein auf-
gehen und im Glanze dieser Sonne unserem bedräng-
ten Volke eine Stätte der Hoffnung, des Glaubens und
der Liebe werden in der vertrauensvollen Hingabe an
Ihn, der von sich sagte: Er sei der Weg, die Wahrheit
und das Leben.«
Sichtbarer Ausdruck dieses Anliegens ist ein neues
Altarbild, das er bei seinem ersten Besuch wie in
einer Vision vor sich gesehen hat. Anstelle des bis-
herigen Marienbildes wird die heutige Herz-Jesu-
Darstellung angebracht. Das »Herz-Jesu-Heiligtum«
für Deutschland ist geboren und alsbald pilgern die
Menschen zum »Herrn mit den ausgebreiteten
Armen«.
1924 – am Sonntag nach Fronleichnam – weiht Bi-
schof Augustinus Kilian den neuen Altar. Die Pilger-
fahrten nehmen ihren Anfang, kurz nachdem die
junge, ungeliebte Weimarer Demokratie das Krisen-
jahr 1923 mit knapper Not überstanden hat. Weite
Teile der Bevölkerung sind erschüttert durch die
Erfahrung unverschuldeter Existenzverluste in der
Inflation und Währungsreform sowie durch die Ex-
plosion der Gewalt, mit der weltanschaulich radi-
kalisierte Gruppen der Linken und Rechten auf den
Straßen aufeinanderprallen. Die Menschen suchen
zunehmend Ablenkung und Trost in Vergnügungen
und Glamour der sogenannten Goldenen Zwanziger.
Originalton Pater Chrysostomus damals: »Sie [= die
Wallfahrten] sollen die Antwort sein, die das katho-
lische Volk besonders im Herz-Jesu-Monat dem ge-
schmähten König der Welt für die Zurücksetzungen
gibt, mit denen die Welt von heute ihm alle Liebe
belohnt. Als Thronsaal des geschmähten Königs der
Völker öffnet Arnstein seine Tore leuchtend und
weit.«
Die neu gegossene Arnsteiner Friedensglocke
kündet nach Ende des 30. jährigen Krieges
vom Frieden
Aufhebung der Prämonstratenser-
Abtei im Zuge der Säkularisation
1648
1817
Verkauf von Kirche und Kloster »auf Abbruch«
durch die nassauische Regierung
1803
Ende des zweijährigen
Benediktiner-Prioriats
1871
Die jungen Novizen der neuen deutschen Provinz setzen sich
tatkräftig für den Bau eines Pilgersaals im Kloster Arnstein ein
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apostel
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der beginn einer neuen wirklichkeit …
nicht rhetorik, inhalt entscheidet
Seltsam fern und entrückt erscheint diese Sprache
mit ihren Bildern und Denkmustern von Volk und
Thron, trotzig-trutzigem Drinnen kontra Welt da
draußen, Schmähungen, Bedrängtsein und Zufluchts-
stätte. Für uns heute schwer nachvollziehbar: Genau
das aber ist die zeittypische, die aktuelle Sprache jener
Zeit. In dieser Sprache versuchen die Menschen der
1920er den politischen, wirtschaftlichen und religi-
ösen Krisen mit angemessenen Antworten zu begegnen
und sie zu bewältigen. Und vielleicht wird uns in
dieser Sprache umso greifbarer, dass das Entschei-
dende eben jenseits des sprachlichen Ausdrucks liegt:
das Öffnen der Tore, um den »Herrn mit den ausge-
breiteten Armen« erfahrbar zu machen – Anfang einer
neuen Wirklichkeit, für die die zeitlos verständlichen
(Lock-)Worte fehlen. Immer!
Jede Zeit hat ihre Sprache und ihre eigenen Worte
der Betroffenheit. Aber Sprache darf kein Klotz am
Bein, kein Hemmschuh sein, uns auf das einzulassen
und von dem betreffen zu lassen, was in ihr zum
Ausdruck kommen soll. Die Sprache und ihre Bilder
haben sich verändert. Heute sind also neu gegen-
wartserfahren(d)e Übersetzer, Tor/Tür-Öffner für
das Arnsteiner »Herzens-Anliegen« gefragt. Denn
Übernahme der
maroden Gebäude
durch SSCC
Beginn der »Jugendherbergs-
aktivitäten«
Erste Herz-Jesu-Wallfahrt
1925 erste Zugwallfahrt aus
dem Aachen-Kölner Raum
Ende der Präsenz der Arnsteiner Patres
im Kloster Arnstein zum 31. Dezember 2018
1919
1924
2018
1949
Krisen und Nöte und ihre Herausforderungen sind
geblieben.
Auf die Nöte und Herausforderungen der jeweiligen
Zeit zu antworten und aus der Herz-Jesu-Spiritualität
heraus Wege durch diese Krisen aufzuzeigen, war von
Anfang an das Anliegen der Arnsteinwallfahrt. Dabei
ging und geht es nicht darum, Menschen mit ihren
Anliegen nach Arnstein zu ziehen im Sinne einer
Zentrale, wo alles verwahrt und gebunden bleibt. Das,
was die Pilger nach Arnstein tragen, wird unter dem
liebenden Blick Gottes angeschaut, bedacht und ins
Gebet genommen, um dann wieder mitgenommen,
gelebt und zum Leuchten gebracht zu werden – dort,
wo die Menschen herkommen und wo sie ihr alltäg-
liches Leben gestalten und zu bewältigen haben, po-
litisch und religiös.
Die DNA der Herz-Jesu-Spiritualität im Horizont der
aktuellen Welterfahrung zu lesen, zu deuten und daraus
Lebenshilfe aus dem Glauben zu vermitteln, war das
Markenzeichen der Arnsteinwallfahrt am Anfang und
ist es durch alle Jahrzehnte geblieben – bis heute.
hans-ulrich willms sscc
Ist Superior der Kommunität Münster und Klinikseelsorger in Telgte.
Von 1970 bis 1988 war er Wallfahrtsleiter in Kloster Arnstein.
1871
Gründung der
Jugendbegegnungsstätte
1976
Mehr über die Entwicklung der Wallfahrt und
ihre geistlichen Hintergründe erfahren Sie in
den folgenden Ausgaben des Apostel.
Bischof Augustius Kilian (im Wagen hinten links)
besucht die Wallfahrt
apostel
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gespräche in der seitenkapelle
apostel
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Gespräche in der Seitenkapelle
#9
In den letzten Jahren spielten Fragen im Zusammen-
hang mit Hassreden immer wieder eine große Rolle
in Gesprächen mit Menschen, die zu uns in die
Citykirche kamen. Vor allem islamische Hass-
prediger lösten bei vielen Menschen Angst und Zorn
aus, nachdem bei einer Reihe von terroristischen
Atten taten wahllos Menschen ermordet worden
waren. Hassparolen gab es jedoch auch von
Rassisten, die Ausländern und Inländern Angst
eingejagt haben. Christen, Juden und
Muslime fühlen sich durch sie bedroht.
Sinti und Roma, Polen und Russen,
Syrer, Eritreer und Afghanen und viele
andere Menschen mehr haben Furcht
vor Übergriffen. Angst und Hass
breiten sich unter den Menschen in
Deutschland aus. Und das spürt man
auch an der offenen Tür unserer
Citykirche.
Warum stellen Sie die Citykirche der eritreisch-
orthodoxen Gemeinde für Gottesdienste zur
Verfügung?
Seit einem knappen Jahr feiern die eritreisch-orthodoxen
Christen aus der Umgebung von Koblenz in der City-
kirche ihren Gottesdienst. Inzwischen kommen fast 100
junge Menschen hierher, um gemeinsam zu beten. Die
Leitung der katholischen Kirche hat die Gemeinden
und Kirchen aufgefordert, orthodoxe Christen zu unter-
stützen, damit sie ihr Glaubensleben auch in Deutsch-
land aufrechterhalten können. Als wir gefragt worden
sind, ob wir als Arnsteiner Patres und als Citykirche die
eritreisch-orthodoxe Gemeinde beherbergen können,
haben wir gespürt, dass dies unser konkreter Beitrag
für die Unterstützung der Flüchtlinge sein kann.
Es war uns wichtig, dass diese Menschen ein kleines
Stück Heimat finden können in dieser fremden Welt,
in die sie ihre Flucht gespült hat. Viele Eritreerinnen
und Eritreer hatten furchtbare Erlebnisse auf ihrer
Flucht. Ein junger Mann musste erleben, wie sein
Bruder von Terroristen geköpft wurde, weil er Christ
ist; eine junge Frau hat auf der Flucht ihre Schwester
verloren, die als Sklavin verkauft wurde. Alle haben
über Monate und Jahre in Angst und Schrecken ge-
lebt, ihr Leben zu verlieren auf der Flucht durch die
Wüste Sahara, durch Kriegsländer wie den Sudan
und Libyen, über das Mittelmeer in nicht hochseetaug-
lichen Booten ... Das Stück Heimat und Freundlich-
keit ist etwas, das wir leicht verschenken konnten.
Wenn immer Muslime für die fürchterlichen
Erfahrungen der eritreischen Flüchtlinge
verantwortlich waren, liegt das Problem dann
nicht vor allem im Islam?
Ich war schon ein paar Mal versucht, die islamische
Glaubensgemeinschaft und ihre spirituellen Haltungen
dafür verantwortlich zu machen. Das muss ich zuge-
ben. Dabei spielt bei mir auch eine Erfahrung eine
Rolle, die mich immer noch beschäftigt. Ein Ausbil-
der für islamische Religionslehrer hat vor Studieren-
den der Fachhochschule Koblenz einen Vortrag über
»Friedenspotenziale im Islam« gehalten. Ein junger
irakischer Christ berichtete bei der anschließenden
Diskussion, wie sein Vater vom sogenannten Islami-
schen Staat entführt worden und nur durch einen
Zufall der Ermordung entkommen ist. Erschüttert
hat mich, dass der Dozent daraufhin erstmal den
Islam verteidigt hat und nicht in der Lage war zu
sagen: »Das finde ich ganz furchtbar, dass dein Vater
von diesen Terroristen entführt wurde«; oder: »Das
tut mir leid, dass du und deine Familie so schlimme
Erfahrungen machen mussten«; oder sonst etwas,
was sein Mitgefühl ausgedrückt hätte.
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gespräche in der seitenkapelle
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apostel
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Gespräche in der Seitenkapelle
Woran erkennt man eigentlich eine Hassrede?
Bild unten © Evgeniy Anikeev – iStock.com
Dennoch stimmt es auch, dass viele der Flüchtlinge
aus Somalia und Eritrea, aus Syrien und Afghanistan
Muslime sind. Auch sie sind vom sogenannten IS
bedroht worden, aus ihren Reihen sind Menschen
ermordet worden. Bis heute sind die weitaus meisten
Opfer der Terroristen des sogenannten IS und anderer
dschihadistischer Gruppen Muslime. Also kann es
nicht einfach an der islamischen Religion liegen.
Zudem habe ich in Koblenz auch eine Reihe von
muslimischen Kurden kennengelernt, die aus Syrien
geflohen sind. Sie verteidigen keine islamische
Religionsgemein schaft, die die ezidischen Kurden
ermordet, weil sie Ungläubige sind – sondern sie er-
kennen in ihnen ihre Schwestern und Brüder. Und
genau das ist, wie ich meine, ein Kriterium, an dem
man Hassprediger und Hassparolen erkennen kann.
Für mich lautet die entscheidende Frage: Kann es
Menschen erster und zweiter Klasse geben? Schmerzt
es die Eritreer weniger, wenn ihre Angehörigen ster-
ben, als Deutsche? Frieren rumänische Obdachlose
im Winter weniger als deutsche? Ist der Hungertod
von schwarzen Kindern weniger schrecklich als der
von weißen? Gehen wir davon aus, dass es Menschen
erster und zweiter Klas-
se gibt oder dass alle
Menschen gleich viel
wert sind, ob alt oder
jung, ob Männer oder
Frauen, ob schwarz oder
weiß, ob progressiv oder
konservativ – oder wel-
che anderen Unterschei-
dungsmerkmale uns ein-
fallen. Ich glaube, für
Christen darf es niemals
Menschen erster und
zweiter Klasse geben.
Aber haben wir denn
nicht eine größere
Verantwortung für
unsere eigenen Leute
als für Fremde?
Nun, ich glaube, dass es naheliegend ist, dass man
sich auf eine andere Art und Weise um die Mitglieder
seiner Familie sorgt als um fremde Menschen. Selbst-
verständlich müssen Eltern für ihre eigenen Kinder
sorgen und können das für fremde Kinder oft nicht
in gleicher Weise tun. Diese haben ja auch zumeist
ihre eigenen Eltern, die für sie sorgen. Solange unsere
Lebensgemeinschaften funktionieren, ist es klar, dass
wir uns zunächst jeweils um unsere eigenen Lebens-
gemeinschaften sorgen – und nicht erst einmal für
die anderen. Doch die Lebensgemeinschaften funktio-
nieren nicht immer – und oft genug gibt es Menschen,
die nicht Teil einer funktionierenden Gemeinschaft
sind. Der christliche Glaube erinnert uns daran, dass
wir zur Nächstenliebe gerufen sind, weil wir im not-
leidenden Fremden dem Lebendigen Gott selbst be-
gegnen; weil im geringsten meiner Schwestern und
Brüder Jesus selbst mir begegnet. Für dieses Verständ-
nis von Nächstenliebe gibt es eine lange christliche
Tradition, die bis auf das Leben Jesu zurückgeht, der
sich auch den notleidenden Fremden zugewendet hat.
Wenn wir in den anderen Menschen nicht unsere
Schwestern und Brüder erkennen, wenn wir in den
Fremden und Notleidenden nicht das Antlitz des Le-
bendigen Gottes oder eine unantastbare Würde er-
kennen, dann sind wir – so glaube ich – schon sehr
nah dran an den Hassparolen und -predigten. Und
ich glaube, dass dies die beiden Gruppen von Men-
schen sind, die man unterscheiden kann: diejenigen,
die glauben, dass alle Menschen gleich viel wert sind,
und diejenigen, die das nicht glauben.
ludger widmaier sscc
ist Seelsorger an der Citykirche in Koblenz
und lebt im dortigen Konvent
apostel
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An der
Nach sechs Jahren in
Deutschland kehrte unser
Mitbruder Rodrigo Alcántara-
Serrano SSCC im Oktober 2017
in sein Heimatland Mexiko
zurück. Er hatte vom Sommer
2011 bis zum Oktober 2017 in
Münster studiert und im
dortigen Konvent gelebt.
Neben seiner Promotion hat er
sich in vielfältiger Weise in die
deutsche Provinz SSCC
eingebracht und in sozialen
Projekten engagiert. Freunden
der deutschen Provinz ist er
auch durch seine Mitarbeit
bei den wöchentlich
wechselnden Impulsen auf
unserer Website bekannt.
Kurz vor seinem Abflug trafen
wir ihn zum Gespräch.
Seite der Armen, das ist der Platz der Kirche!
Bruder Rodrigo, was hat Sie gerade
an Deutschland so gereizt?
In meinem philosophischen Grund-
studium in Mexiko habe ich mich
unter anderem mit deutschen Philo-
sophen beschäftigt: Kant, Feuerbach
und Marx, dann Hannah Arendt und
auch mit der Frankfurter Schule. Da
dachte ich mir. »Wow! Was ist das
für ein Land, aus dem so viele Denker
und so spannende Ideen stammen?«
Zunächst bin ich nach Brasilien ge-
gangen, denn bis 2007 gab es in un-
serer Ordensgemeinschaft in Latein-
amerika zwei Möglichkeiten zum
Theologie-Studium: entweder Chile
oder Brasilien. Da ich gleichzeitig
auch eine neue Sprache lernen woll-
te, habe ich mich für Brasilien ent-
schieden. All das hat die Ordensge-
meinschaft ermöglicht. Brasilien war
eine gute Erfahrung. Einige meiner
Professoren hatten in Deutschland
promoviert, und einer hat mir gera-
ten, in Münster weiter zu studieren,
wo sich auch eine Kommunität mei-
ner Ordensgemeinschaft befindet.
Dann ging alles sehr schnell: Im Janu-
ar 2011 habe ich Kontakt mit Pater
Martin Königstein und Pater Manfred
Kollig aufgenommen, und schon im
Sommer bin ich nach Münster gezogen.
Wie haben Sie es geschafft, in einer
komplizierten fremden Sprache zu
studieren und Ihre Doktorarbeit zu
schreiben?
Ein Semester habe ich zunächst nur
für die deutsche Sprache investiert.
Sehr geholfen hat mit dabei meine
Kommunität in Münster. Vom ersten
Tag an haben sie mit mir auf Deutsch
kommuniziert. Zudem hatte ich das
Glück, dass in Münster alle spanisch
konnten. Wenn ich etwas nicht ver-
standen habe, konnten sie es mir
erklären. Aber die Regel war, dass
immer alles auf Deutsch lief. So habe
ich ziemlich schnell die Sprache so
weit gelernt, dass ich den offiziellen
Sprachtest bestehen und mich an der
Universität einschreiben konnte. Na-
türlich hatte ich im Studium zunächst
Probleme, auch wenn ich die Fach-
begriffe schon kannte.
Und haben Sie Ihre Doktorarbeit
abgeschlossen?
Im Juli bin ich fertig geworden. Der
Titel meiner Promotion lautet »Das
Leiden erzählen – dem Leiden wider-
stehen. Elemente zu einer narrativen
und praktischen Theodizee«.
Als Ausgangspunkt habe ich literari-
sche Texte gewählt, die über das Lei-
den erzählen, und sie im Hinblick
auf eine Praxis gegen das Leiden ana-
lysiert. Das war eine Arbeit, die viel
Zeit und Kraft gekostet hat, mit der
ich aber sehr zufrieden bin.
Da haben Sie sich mit Fragen aus-
einandergesetzt, die viele Men-
schen bewegen …
Rodrigo Alcántara-Serrano SSCC
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1/2018
apostel
Seite der Armen, das ist der Platz der Kirche!
Ja, Leiden und der Umgang damit
sind gerade auch in Lateinamerika
und in der Befreiungstheologie
eine zentrale Fragestellung. Und
das gilt auch für die politische
Theologie, die ich hier in Deutsch-
land kennengelernt habe. Mit mei-
ner Arbeit möchte ich auch zu
einer Weiterentwicklung der po-
litischen Theologie beitragen.
Sie werden nach Ihrer Heimkehr
Aufgaben in der mexikanischen
SSCC-Provinz übernehmen.
Wie können wir uns Ihre
Heimat provinz vorstellen?
Wir sind derzeit 20 Mitbrüder und
haben schon seit Längerem keinen
Nachwuchs mehr. Damit umzuge-
hen müssen wir noch lernen.
In welchen Arbeitsfeldern ist die
mexikanische Provinz tätig?
Wir sind an drei Orten präsent. In
Mexico City leben ungefähr 70 %
der Brüder. Die beiden anderen
Konvente befinden sich in Guada-
lajara etwas nordwestlich und im
Bundesstaat Puebla, der etwas
südöstlich der Hauptstadt liegt.
Die meisten Brüder sind in Pfar-
reien tätig.
Gibt es einen Schwesternzweig
der Familie SSCC in Mexiko?
Ja, es gibt eine internationale Kom-
munität von Schwestern in Hidal-
go, die ein sogenanntes Migranten-
haus betreuen. Das ist eine sehr
interessante, sehr prophetische Auf-
gabe. Sie unterstützen dort Migran-
ten, die oft gar nichts mehr besitzen,
mit Kleidern und Nahrung. Da die
Schleuser solche Unterstützung
nicht wollen, werden die Schwes-
tern häufig bedroht, aber sie lassen
sich nicht davon abhalten.
Ich könnte mir gut vorstellen, in
diesem Projekt mitzuarbeiten, weiß
aber noch nicht, was die Provinz
generell mit mir vorhat. Ich weiß
nur, dass ich in einer Pfarrei tätig
sein soll. Besonders gerne würde
ich in der Weiterbildung von Ka-
techeten mitwirken und könnte
mir vorstellen, parallel dazu an
einer Theologischen Hochschule
zu unterrichten. Das geht in Me-
xiko gut, da Professoren nur eini-
ge Stunden lehren und darüber
hinaus in der Pastoral arbeiten. Ich
würde dies gerne verbinden, da
Theologie betreiben für mich
immer auch Reflexion über die
Praxis ist. Wenn die Praxis fehlt,
dann frage ich mich, was das für
die Theologie bedeutet …
Mexiko erscheint in unseren Me-
dien immer mehr als ein Land,
das von unvorstellbarer Gewalt
geprägt ist, von Korruption und
einem entgrenzten Drogenkrieg.
Ist dieses Bild zutreffend?
Ich glaube leider, dass dieses Bild
tatsächlich zutrifft. Seriöse Zeitun-
gen sprechen von 170.000 Toten
und 30.000 Verschwundenen in
den letzten 10 Jahren. Das sind
Opfer der Drogenkartelle, aber auch
von Gewalt exzessen von Polizei
und Militär: eine Situation, unter
der das ganze Land leidet. Es exis-
tiert eine Kultur der Gewalt, eine
alltägliche Gewalt, die auch viel
Misstrauen unter Nachbarn – be-
sonders in den großen Städten –
geschürt hat. Das ist so schrecklich,
weil ich auch an unsere Jugendli-
chen und Kinder denke, die immer
wieder solche Dinge erleben muss-
ten: Tote, die auf der Straße liegen
gelassen oder kopflos auf einer Brü-
cke aufgehängt wurden. Das Volk
ist leider schutzlos. Warum? Weil
auf der einen Seite mächtige und
reiche Drogenkartelle stehen und
auf der anderen Seite eine Regie-
rung, die korrupt und ahnungslos
ist. Es wird nicht analysiert, worin
die grundlegenden Probleme für
unsere Situation liegen, sondern
nur die Gewaltspirale weitergetrie-
ben. Wenn man genauer nach-
forscht, dann erfährt man, dass zum
Beispiel der Oberbürgermeister von
einem Drogenboss bestochen wird.
Und der Polizeipräsident darf na
-
türlich nicht gegen den Bürgermeis-
ter handeln, also macht er mit und
lässt sich auch bestechen.
Mexikanisches Wandgemälde © Papa Bravo – stock.adobe.com
MEXICOMEXICO
apostel
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familie sscc
Ein solch schreckliches Panorama schildere ich auch
kurz in meiner Doktorarbeit, weil das die konkrete
Leidenssituation in meinem Land beschreibt, auf die
wir antworten müssen. Aber es gibt auch ein ganz
anderes Mexiko: Das letzte Erdbeben am 19. Septem-
ber 2017 war sehr schrecklich. Doch es gab – Gott
sei Dank – nicht so viele Tote wie befürchtet, und die
Menschen haben ganz anders gehandelt, als vielleicht
erwartet werden konnte: Sie haben sich gegenseitig
solidarisch unterstützt. Vor 32 Jahren gab es schon
einmal ein starkes Erdbeben, und nach diesem Erd-
beben ist eine neue Gesellschaft entstanden. Ich hoffe
wirklich, dass das, was die Menschen jetzt machen,
wie sie sich organisieren und zusammenarbeiten, wie
sie wieder aufeinander vertrauen, dass dies einen
neuen gesellschaftlichen Aufbruch ermöglicht und
so die Gewalt langsam zurückgedrängt wird.
Sehen Sie Kräfte in der Zivilgesellschaft, die eine
wirkliche Veränderung wollen?
Da gibt es beispielsweise die »Bewegung für Frieden
und Gerechtigkeit und menschliche Würde«. Hier
wird versucht, die realen Probleme der Bürger in die
gesellschaftliche Debatte einzubringen und nicht nur
Parteipolitik zu betreiben. Da gibt es die – auch im
Westen berühmt gewordene – Bewegung der Zapa
-
tisten, die, ausgehend von den Interessen der indige-
nen Gruppen im südlichen Bundesstaat Chiapas, auch
für die gesamte mexikanische Gesellschaft wichtige
demokratische Anstöße gebracht hat, indem sie ge-
zeigt hat: »Ja, wir können wirklich etwas verän-
dern!«Auch wenn die einzelnen Gruppen vielleicht
noch zu wenig vernetzt sind, so sind diese Aufbrüche
für mich Hoffnungszeichen.
Wo steht die Kirche in diesem Prozess?
Die Kirche meines Landes ist aus meiner Sicht ge-
spalten. Da gibt es einerseits eine Gruppe von Bischö-
fen, die auf der Seite der Reichen stehen, wie der
Erzbischof von Mexiko City. Kein Mexikaner käme
auf die Idee, in ihm einen Pastor, einen Seelsorger zu
sehen. Er ist ein Politiker und zwar auf der Seite der
herrschenden Eliten. Doch es gibt auch einige Pries-
ter und Bischöfe, die sich an dem 2011 verstorbenen
Bischof Samuel Ruiz orientieren. Sie stehen auf der
Seite der Armen und der indigenen Bevölkerung und
vertreten eine Theologie der Befreiung. Wichtig wäre
es, wenn sich diese Gruppierungen in der Kirche und
zivilgesellschaftliche Gruppen miteinander vernetzen,
um wirkliche Veränderungsprozesse anzustoßen.
Welche Rolle spielt hierfür das Pontifikat von
Papst Franziskus?
Papst Franziskus eröffnet eine große Chance. Diese
Zeit ist für Mexiko – und nicht nur für Mexiko – so
etwas wie ein Kairos, eine Gelegenheit, die wir wirk-
lich nutzen sollten! An der Seite der Armen, das ist
der Platz der Kirche! Ich kenne eine Reihe von Men-
schen in der Kirche, die an der Seite der Armen und
Ausgeschlossenen leben wollen, zu einer Kirche der
Armen werden wollen. Das ist meine Hoffnung.
Was nehmen Sie aus Ihrer Zeit in Deutschland
mit für Ihre neuen Aufgaben in Mexiko?
Ich habe die Sprache gelernt, damit ich überhaupt hier
Theologie studieren konnte. Das theologische Instru-
mentarium nehme ich mit. Das ist ein gutes Funda-
ment, um weiter Theologie zu betreiben. In meiner
Doktorarbeit bin ich von zwei Schriftstellern aus Me-
xiko ausgegangen, aber ich habe diese zwei Schrift-
steller mit deutschem Instrumentarium interpretiert.
Das ist ein gutes Zusammenspiel zwischen deutschen
und mexikanischen Elementen. Aber ich wollte mich
auch in die deutsche Gesellschaft integrieren, die Kul-
tur kennenlernen und mich auch in die deutsche Pro-
vinz meiner Ordensgemeinschaft einbringen. Beson-
ders durch meine Kommunität in Münster habe ich
auch Organisation, Disziplin und Struktur gelernt.
Man schafft Strukturen, damit wir unsere Ziele errei-
chen können. All dies nehme ich mit und kann es
sicher gebrauchen.
Ich hoffe, dass ich dazu beitragen kann, dass die Kir-
che in Mexiko sich mit den wirklichen Problemen
der Menschen beschäftigt, dass sie zum Wohl der
Menschen arbeitet. Und ich weiß, dass einige meiner
Mitbrüder dabei gerne mitmachen wollen.
interview und bearbeitung: thomas meinhardt
Protest von Frauen in Mexiko City gegen die Zunahme
von Gewalt – insbesondere sexueller Gewalt – im Alltag
Mexikos. 33 Prozent aller Morde weltweit geschehen in
Lateinamerika und der Karibik, obwohl dort nur acht
Prozent der Weltbevölkerung leben.
Bild oben: © picture alliance / dpa
Nachtrag: Bruder Rodrigo, 34 Jahre alt, lebt derzeit in Guada-
lajara, wo ein größeres Pastoralprojekt der mexikanischen
Provinz entsteht. Er arbeitet als Dozent an der dortigen Hoch-
schule und begleitet Migranten und minderjährige Gefangene.
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apostel
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60 Jahre
Karl-Josef Sterner
Karl Josef Sterner wurde 1937 in Effelder im Eichsfeld geboren und
kam nach dem Krieg nach Niederlahnstein. Im Johanneskloster er-
lernte er den Beruf des Gärtners. Er trat nie der Gemeinschaft bei,
stand aber seit 1960 mit Leib und Seele für die Arnsteinwallfahrten
zur Verfügung. An jedem Pilgersonntag unterstützte er mit seiner
Frau den Helferkreis. Seit 1998 war er Mitglied des weltlichen Zwei-
ges. Über 50 Jahre lang hielt er uns die Treue, bis eine schwere
Krankheit es ihm seit 2016 unmöglich machte, weiterhin nach Arn-
stein zu reisen. Karl-Josef Sterner verstarb am 10. Februar 2018 in
Dormagen.
60 Jahre Priesterweihe
Pater Nikolaus Herden SSCC
Nikolaus Herden wurde 1928
in Bad Charlottenbrunn (seit
1945 Jedlina-Zdrój) in Nieder-
schlesien (seit 1945 zu Polen
gehörend) geboren. Nach der
Volksschule besuchte er die
Missionsschule unserer Patres
»Christus Rex« im nahe liegen-
den Falkenhain (seit 1945 So-
kołówka). Die Schule wurde
von den Nazis geschlossen, der
Vater fiel im Krieg, und 1946 wurde die Familie ver-
trieben und übersiedelte nach Lahnstein. Nikolaus
kam ins Internat unseres Johannes-Gymnasiums und
vollendete 1952 mit dem Abitur seine schulische Aus-
bildung. Sein Noviziat verbrachte er in Burgbrohl, die
Philosophie- und Theologie-Studien absolvierte er in
unserer Ordenshochschule in Simpelveld (Niederlan-
de). Am 23. März 1958 wurde Nikolaus Herden in
Valkenburg zum Priester geweiht. Seine Stationen in
der Ordensgemeinschaft waren das Provinzialat in
Aachen, Schule und Internat in Lahnstein und Supe-
rior im Kloster Arnstein. 1978 wurde Pater Nikolaus
Pfarrer von Weibern in der Eifel. Nach 26 Jahren ver-
abschiedete er sich 2004 von der Pfarrei und trat eine
ruhigere Stelle als Seelsorger im Altenheim »Marienstift
Mendig« an. 2008 wechselte er nach Ochtendung, wo
er die Seelsorge im »Alten- und Pflegeheim St. Mar-
tin« übernahm. Der rüstige Senior versah seinen Dienst,
bis ihn zu Beginn des Jahres 2017 eine lebensbedroh-
liche Krankheit ereilte. Er erholte sich so weit, dass
er im September nach Werne umziehen konnte und
dort nun im Kreis der Mitbrüder lebt. Seiner schlesi-
schen Heimat fühlt sich Pater Nikolaus weiterhin tief
verbunden, und die Aussöhnung von Polen und Deut-
schen ist ihm heute noch ein Herzensanliegen.
Die Jugendbegegnungsstätte der Arnsteiner Patres –
auf den Höhen des romantischen Lahntals nahe Nassau
gelegen – befindet sich in den Mauern eines fast 900
Jahre alten Klosters. Hier ist Raum für Gruppen aus
Pfarreien, Schulen und Verbänden – für Seminare,
Schulungen oder Familienfreizeiten.
Die Anlage besteht aus mehreren eigen ständigen Häu-
sern und bietet 63 67 Übernachtungsplätze in Mehr-
bett zimmern.
Im Außengelände gibt es verschiedene Sitzgruppen,
eine Tischtennisplatte, Grillmöglichkeiten und viel
Platz auf dem Klosterhof.
Mehr Informationen bekommen Sie bei der Leiterin der
Jugendbegegnungsstätte: Erni Lelle, Telefon: 0 26 04
97 04 10, jbs@sscc.de, www.jbs-arnstein.de
www.arnsteiner-patres.de
Unsere Niederlassungen in Deutschland
Arnsteiner Patres, Provinzialat
Kardinal-von-Galen-Straße 3
59368 Werne
Tel.: 0 23 89 97 01 50
Fax: 02389 97 01 27
provinzialat@sscc.de
Kloster Arnstein
56379 Obernhof / Lahn
Tel.: 0 26 04 9 70 40
Fax: 02604 16 06
Kloster.Arnstein@sscc.de
Arnsteiner Patres
Bohlweg 46
48147 Münster
Tel.: 02 51 48 25 33
Fax: 0251 4 82 53 59
Muenster@sscc.de
Arnsteiner Patres
Jesuitenplatz 4
56068 Koblenz
Tel.: 02 61 9 12 63-0
Koblenz@sscc.de
Niederlassung der Deutschen Provinz
in Belgien: Pères des Sacrés Coeurs
Quai de Brabant, 38/5
B-6000 Charleroi
Tel.: 00 32 71 70 02 46
Bild und Text von Pater Manfred Kollig SSCC
Jesus – Herz – Maria
Zwei Herzen
zwischen Himmel und Erde
halten den Blick offen
für das,
was weit weg zu sein scheint.
In einem Herz spiegelt sich
das andere.
Das Herz Jesu
und das Herz Mariens –
zwei Herzen,
die nicht verstockt sind,
ohne Stockflecken,
frei von Pilz und Schimmel,
auf Empfang gestellt
für Himmel und Erde.
»Heute,
wenn ihr seine
Stimme hört,
verstockt euer Herz nicht.«
(Hebräerbrief 3,15)