60800 Apostel Zeitschrift der Arnsteiner Patres inhalt Ausgabe 3/2012 »Ich glaube nix, und mir fehlt auch nix« Bekenntnisse und Gedanken zum Glauben in unserer Zeit Weitere Themen: Zweites Vatikanisches Konzil – Bericht eines Zeitzeugen »Geistlicher Wegbegleiter« durch den Herbst Oasentage im Kloster Arnstein Inhalt Mit Kindern über Gott reden 4 »Ich glaube nix, und mir fehlt auch nix« 6 Geistlicher Wegbegleiter 9 Interview zum Zweiten Vatikanischen Konzil 13 Porträt eines Polizeiseelsorgers 16 Rose – ohne Dornen? 18 Nachrichten 19 Am Eingang der Klosterkirche lächelt der Arnsteiner Engel, der links abge­ bildet ist, jeden Menschen an, der die Kirche betritt: »Herzlich willkommen! Hier kannst du ausruhen und neue Kraft schöpfen.« Die Arnsteiner Oasen­ tage laden ein, zur Ruhe zu kommen und auf Körper, Seele und Geist zu hören. Im Wechsel von Gespräch und Meditation, Stille und Gesang werden verschiedene Themen aufgegriffen und im Hinblick auf eigene Erfahrungen bearbeitet. Alle Oasentage sind thematisch in sich abgeschlossen. Nächster Oasentag: Freitag, 16. November 2012, 9–18 Uhr Von Scheidewegen und Entscheidungen … »Ich stelle euch heute vor die Wahl zwischen Glück und Unglück, zwischen Leben und Tod. – Wählt das Leben!« (Dtn 30,15 und 19) Die Situationen, mit denen uns die Dynamik des modernen Lebens konfron­ tiert, sind immer weniger vorhersehbar. Immer weniger helfen altbewährte Regeln oder moralische Vorschriften. Vor die Wahl gestellt, zwischen Glück und Unglück, Leben und Tod zu wählen: Wie kann ich den Weg zum Glück und zum Leben finden? Wie kann die Erfahrung meiner Vertrautheit und Freundschaft mit Jesus mir helfen, das Leben zu wählen? Wir wollen sehen, ob die uralte Kunst der »Unterscheidung der Geister« uns dabei hilfreich sein kann. Anmeldung und weitere Termine: www.arnsteiner-patres.de/oasentage.html 30 Jahre Arnsteingemeinschaft Am Pfingsttag 1982 beschloss eine Gruppe von Menschen, die sich dem Geist des Klosters Arnstein besonders ver­ bunden fühlten, sich jedes Jahr zu Pfingsten wieder an diesem Ort zu treffen. Am Pfingstsonntag, den 27. Mai feierte die Arnsteingemeinschaft nun den 30. Geburtstag ihres Pfingsttreffens mit einem festlichen Hochamt und anschließendem Empfang bei strahlendem Sommerwetter. 2 apostel 3/2012 Nach dem Motto »Weißt du noch?« ließ man die vergan­ genen 30 Jahre in mitgebrachten Fotoalben noch einmal Revue passieren, Vesper und Grillabend beschlossen den Pfingstsonntag. Rund 50 Teilnehmende verbrachten die Zeit von Freitag bis Montag im Kloster, um wie in jedem Jahr das Pfingsttreffen mit Gruppenarbeit, Gottesdienst und guten Gesprächen zu verbringen. Riskieren wir einen neuen Blickwinkel Das Arnsteiner Kaleidoskop Gegen den Strom Im Kloster Arnstein finden noch bis zum 20. Oktober Veranstaltungen im Rahmen des Kultursommers Rheinland-Pfalz-statt. 1. September, 19:30 Uhr Konzert Jauchzet dem Herrn. Geistliche Vokalwerke von der Renaissance bis zur Moderne. Lange Chornacht mit vier Vokal­ ensembles aus Deutschland und Italien. 9. September, 19 Uhr Konzert Hovland, Bach und Mendelssohn, gesungen von den Limburger Domsingknaben; Fagott: Niko Maler, Leitung: Klaus Knubben 15. September, 19 Uhr Konzert Brahms: Vier Ernste Gesänge; Schubert: Schwanengesang; Fabian Hemmelmann (Bariton) und Lara Jones (Klavier) 16. September, 16:30 Uhr Konzert Orgelzauber, Robert Hugo (Prag); Internationale Orgelfestwochen 29. September, 20 Uhr Lesung Memoiren des Zeus, mit Gaby Fischer, Diethelm Gresch und Kurt Hummel (Gitarre) www.peregrini-arnstein.de Die Website des Veranstalters Peregrini e. V. bietet das Gesamtprogramm des Kultursommers. Das Bild habe ich irgendwo auf einem Kirmesplatz aufgenommen. Der kleine Junge hängt festgeschnallt in einem Sitzgurt an zwei stabilen Gummibändern. Ein Helfer zieht an einem Band, er schnellt in die Luft, und dann geht es von alleine. Schnell findet er die richtige Technik: Er fliegt auf und nieder, dreht Purzelbäume in der Luft und genießt die scheinbare Schwerelosigkeit. Er schwebt wie ein Vogel, quietscht vor Vergnügen und möchte gar nicht aufhören. Kinder lieben es, die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten: Sie jubeln, wenn man sie in die Luft wirft, sie reiten auf dem Rücken des Vaters, sie hängen mit dem Kopf nach unten an einer Kletterstange, sie kriechen unter Möbel oder liegen mit dem Rücken auf der Erde und betrachten die Welt aus der Froschperspektive. Diese Art Entdeckungsdrang ist uns Erwachsenen fremd. Wir sind steif geworden, berufen uns auf unsere Erfahrungen und glauben, die Welt zu kennen. Und ganz ehrlich: Wer ist nicht froh, wenn es keine Überraschungen gibt. Fehlende Überraschungen haben aber auch ihren Preis. Sie lassen ein Gefühl von Langeweile aufkommen. Der Lebenshorizont wird enger. Die Lebenslust schwindet. Plötzlich erscheint dieses ungemütliche Fragewort »warum«. Hier unterscheiden wir uns von Kindern. Jesus stellt uns immer wieder Kinder als Vorbilder vor Augen. »Wenn ihr nicht glaubt wie die Kinder …«, sagt er einmal. Was meint er? Ich bin sicher, dass er uns auffordert, die Welt mit den forschenden, neugierigen Augen eines Kindes zu sehen. Ich glaube auch, er ermutigt uns, die Welt wie Kinder aus einem ungewohnten Winkel zu betrachten. Er hilft uns, Vertrauen zu wagen, so wie das Kind, das sich dem Gummiband anvertraut. Es hat zwar keinen festen Boden unter den Füßen, aber es hat keine Angst und erlebt etwas. Diese Erfahrung kann man durchaus mit dem Glauben vergleichen. Typisch für den Glauben ist, dass man die Welt aus ungewohnten Perspektiven betrachtet; nicht nur wissenschaftlich beobachtend, sondern auch fragend und suchend nach dem Sinn des Lebens. Typisch für den Glauben ist auch das Wagnis. Ich erlebe, dass ich keine beweisbare Sicherheit habe, und vertraue mich dennoch Jesus Christus und der Schar seiner Zeugen an. Das Kind vertraut darauf, dass das Gummiband hält. Der gläubige Mensch geht vergleichbare Risiken ein. Er vertraut auf den lebendigen Gott im Wort der Schrift, in den Sakramenten und in den vielen Lebensvollzügen der Kirche, ob dies eine Basisgemeinde in Brasilien oder ein katholisches Behindertenheim in Deutschland ist. Wer Neues entdecken will, muss sich wie ein Kind vom Alltag lösen. Es kehrt zwar dorthin zurück, aber es hat eine neue Erfahrung gemacht. Ihr Pater Heinz Josef Catrein SSCC 3/2012 apostel 3 mit kindern über gott reden Der alte Heinrich hängt immer noch über meinem Bett, nicht irgendeiner, sondern Heinrich der Heilige. Der einstmals goldene Rahmen ist fleckig und in den Winkeln geht er leicht auseinander. Der ehemals weiße Karton ist vergilbt, das Glas hat Kratzer. Der heilige Heinrich hat einiges mitgemacht. Ständig ist das Bild mit mir umgezogen: vom heimatlichen Kinderzimmer ins Internat, von dort in die Niederlande, zurück nach Deutschland, dann nach Norwegen. Die vorläufige Endstation ist Lahnstein. Egal wo es noch hingeht, beim nächsten Umzug ist er wieder dabei. Mit Kindern über ihren Namenspatron sprechen Von komischen und von ker  4 Heilige neu entdecken Heilige als Vorbilder In meiner Kindheit feierte man noch Namenstage, sowohl die der Kinder als auch die der Erwachsenen. Die Geschenke hielten sich in Grenzen, aber immerhin gab es Kaffee mit Kuchen. Seitdem sind die Namenstagsfeiern immer seltener geworden. Früher jedoch war die Namenswahl eine wichtige Sache. Man schaute nicht nur auf einen schönen oder modernen Namen, sondern auch auf den Namenspatron, der dahinter stand. Heilige waren Vorbilder, denen man nacheiferte, und als Schutzpatrone auch eine Art himmlische Verbündete, die man anrief und um Beistand bat. Zum Glück haben viele Kinder noch traditionelle Heiligennamen. Warum sollte man diese Tatsache nicht aufgreifen und sie mit „ihrem“ Heiligen vertraut machen? Auch hinter vielen sogenannten modernen Namen stecken oft genug Heilige. Hier lohnt es sich nachzuforschen. Lars zum Beispiel ist die skandinavische Form von Laurentius, Cathy führt zur heiligen Katharina, Jens oder Jenny zu Johannes dem Täufer oder Johannes dem Evangelisten und noch einigen anderen Heiligen mit Johannes im Namen. Das Internet ist diesbezüglich eine wahre Fundgrube (zum Beispiel www.heilige.de). Wer sich mit den Heiligen beschäftigt, wird zwangsläufig anfangen zu lesen und vielleicht auch auf ein merkwürdiges Phänomen stoßen. Heiligenleben sind manchmal abstoßend fromm geschildert und zeichnen ein völlig verkürztes Bild der Personen: Man darf misstrauisch sein. Die heilige Elisabeth, verheiratet und Mutter von vier Kindern, wird auf einmal zur Nonne, beim heiligen Aloisius wird erzählt, dass er bereits mit zehn Jahren ein Keuschheitsgelübde ablegte. Das mag vielleicht stimmen, wirkt aber eigentümlich, wenn man unterschlägt, dass er sich als junger Student dem Jesuitenorden anschloss, auf sein Erbe verzichtete und sich bei der Pflege von Pestkranken in Rom den Tod holte. Beim heiligen Martin steht immer die Szene mit dem Mantel im Vordergrund. Seltener wird erwähnt, dass er den Kriegsdienst aufgab und als Bischof mit dem Kaiser stritt, der sich in kirchliche Belange einmischte. Viele Heilige haben legendäre Züge, wie zum Beispiel der heilige Georg mit dem Drachen. Verkaufen Sie das nicht als Tatsache, versuchen Sie zu erklären, dass der Drache ein Symbol des Bösen ist, und wer sein Leben auf Christus setzt, kämpft gegen böse Mächte. apostel 3/2012 Eigentlich schade, dass viele Kinder ihren Namenspatron nicht kennen. Ich freue mich jedes Jahr auf meinen Namenstag. Und dass nicht nur, weil es dann immer meinen Lieblingsschoko­ ladenkuchen zum Nach­ mittagskaffee gibt …  nigen Heiligen Heilige als Lebensbegleiter Es ist gut, wenn man Kindern mit ihren Namenspatronen vertraut macht. Sie sollen diese als Menschen kennenlernen, die für Gott offen waren, aber auch Fehler machten. Ich denke, Kinder können sich auf diese Weise besser mit ihnen identifizieren. Viele Heilige stehen für konkrete christliche Haltungen: Josef für Treue und Zuverlässigkeit, Elisabeth für Nächstenliebe, Franziskus für Einfachheit und die Achtung vor der Schöpfung, Damian De Veuster für seine Liebe zu den Verstoßenen. Heilige können auf vielerlei Weise zu Lebensbegleitern werden. Feiern Sie den Namenstag, schenken Sie den Kindern gute Literatur, geben Sie ihnen ein Bild oder eine Statue ihres Namenspatrons. Viele Heilige sind oft mit bestimmten Gegenständen abgebildet: Josef mit der Säge, Laurentius mit dem Rost, Antonius von Padua mit dem Jesuskind oder Antonius der Wüstenvater mit dem Schwein. Solche Erkennungszeichen helfen, die Heiligen in Kirchen oder Museen wiederzuentdecken. mit kindern über gott reden Heilige als Hoffnungsgestalten Heilige sind Menschen, durch die die Gnade Gottes sichtbar wird. Erläutern Sie den Kindern, dass wir alle dazu berufen sind, zu Gott zu kommen. Die Heiligen sind Vorbilder und Lehrmeister, aber sie sind nichts Besonderes. Gott will uns das Gleiche schenken wie ihnen. Das Fest Allerheiligen verkündet dies sehr deutlich. Es wäre fatal, wenn man die Heiligen zu „Supermenschen“ stilisierte, gegen die wir nicht ankommen. Sie sollen uns nicht in einen Abgrund von Minderwertigkeitskomplexen stürzen, sondern ermutigen, Christus mit unseren Talenten nachzufolgen. Heilige sind keine perfekten Menschen, sie sind schwach und sündig. Mein Namenspatron, der heilige Kaiser Heinrich, war fromm, aber er hatte auch Blut an den Händen, weil er Kriege führte. Wir dürfen Fehler machen. Es ist wichtig aufzuzeigen, dass es viele Wege zur Heiligkeit gibt; ja, dass Gott für jeden Menschen einen Weg gewählt hat, auch einen, der zu mir passt. Eine Neuentdeckung der Heiligen ist notwendig. Kinder denken immer konkret, und es ist gut für sie, Menschen kennenzulernen, die Jesus nachfolgen. Der Namenspatron ist die erste Wahl, aber es kann auch der Pfarrpatron sein oder der Patron der Stadt oder irgendeine andere Person, die Kinder besonders anspricht. Ich denke da an Pater Damian De Veuster. Von ihm gibt es sogar Fotos, und man kann den Kindern zeigen, dass Heilige nicht immer aus uralten Zeiten stammen müssen. ■ heinrich josef catrein sscc Die kleine Trinh Maria malt die heilige Maria, während sie deren spannende Lebensgeschichte erzählt bekommt, eine erste Annäherung an ihre Namenspatronin … 3/2012 apostel 5 Der Sämann bestellt das Feld. Ob die Saat auf fruchtbaren Boden fällt? Auch das Wort Gottes wird ausgestreut … Gläubig, ungläubig, 6 »Ich glaub nix, und mir fehlt auch nix.« – Bekenntnisse und  »Ich glaube schon, glaube ich jedenfalls.« Das sagte mir ein junges Mädchen, die mit der Mutter in der heiligen Messe war, die für ihre verstorbene Oma gefeiert wurde. Nach dem Gottesdienst stehen wir noch zusammen und kommen auf den Glauben zu sprechen. Unsicher und tastend formuliert das Mädchen ihr Glaubensbekenntnis. Der ältere Bruder ist nur der Mutter zuliebe zwischen zwei Terminen mit in die Kirche gegangen. Er sagt ganz offen: »Ich glaub nix, und mir fehlt auch nix.« Ein Bekenntnis zum Glauben und ein Bekenntnis zum Unglauben. In gewisser Weise finde ich diese Bekenntnisse typisch für unsere Zeit. Mir fallen weitere »Glaubensbekenntnisse« ein. Als ich jemanden im Krankenhaus besuche, begrüßt mich auch gleich der Bettnachbar apostel 3/2012 mit den Worten: »Ach, Sie sind der katholische Pfarrer. Wissen Sie, ich bin ja evangelisch, aber wir glauben ja doch alle an den gleichen Gott.« Und bei einem Trauerbesuch höre ich: »Ach wissen Sie, ich gehe ja nicht oft in die Kirche, aber ich glaube trotzdem an Gott. Ich denke, man kann auch gläubig sein ohne die Kirche.« Solche Bekenntnisse fordern mich immer wieder heraus. Papst Benedikt hat ein »Jahr des Glaubens« ausgerufen. Aber was bedeutet »Glauben«? Meinen wirklich alle dasselbe, wenn sie dieses Wort aussprechen, vom Papst über den Mann im Krankenhaus bis zu dem jungen Mann, der freimütig bekennt: »Ich glaub nix, und mir fehlt auch nix«? Es reizt mich, diesen »Glaubensbekenntnissen« nachzugehen und zu fragen: Was steckt dahinter? Welche Überzeugungen kommen darin zum Ausdruck? Und vor allem: Wie gehe ich damit um? Glaube ich genauso oder anders? »Ich glaub nix, und mir fehlt auch nix.« So empfinden in der Tat nicht wenige Zeitgenossen. Sie glauben nicht an Gott und spüren dabei auch kein großes Unbehagen. Vielleicht glauben sie noch an irgendein »höheres Wesen«, aber dieses ist so blass und profillos, dass es kaum eine Bedeutung für die Geschicke der Welt und das persönliche Leben hat. Manche Christen erschrecken über diese Bekenntnisse des Unglaubens. Und christliche Eltern, deren Kinder so denken, machen sich Vorwürfe: Wir haben doch ver- titelthema sucht, unseren Kindern den Glauben mitzugeben, doch jetzt ist er ihnen überhaupt nicht mehr wichtig. Was haben wir falsch gemacht? Es geht nicht, andere zum Glauben drängen zu wollen, ihnen gar Vorwürfe zu machen. Und es hilft auch nichts, sich selbst Vorwürfe zu machen. Wir müssen ganz nüchtern feststellen, dass sich in den letzten Jahrzehnten vieles in unserer Gesellschaft verändert hat. Die christliche Religion und das kirchliche Leben haben viel von ihrer prägenden Kraft für Gesellschaft und Kultur verloren. Im Allgemeinen brauchen wir Gott und Kirche nicht, um den Alltag zu bewältigen, die Welt zu erklären, die Staaten zu regieren oder die Freizeit zu gestalten. Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Schule und Berufsleben laufen nach ihren eigenen Regeln und Gesetzen ab. Das Kreuzzeichen bleibt rein äußerlich und nichtssagend, wenn ich dem anderen nicht verdeutlichen kann, was es für mich heißt, als Kind Gottes zu leben, mit seinem Sohn Jesus Christus verbunden zu sein und aus der Kraft des Heiligen Geistes zu leben. Nur wenn ich deutlich machen kann, was mir dieser Glaube bedeutet, was er mir an Halt oder Kraft, an Orientierung oder Inspiration gibt und wie viel mir ohne ihn fehlen würde, könnte ich jemanden beeindrucken, der mir sagt: »Ich glaube nix, und mir fehlt nix.« Aber selbst wenn ich ihn beeindrucken würde, ist nicht gesagt, dass er sich auch selbst für den Glauben interessiert. Wir werden wieder neu lernen müssen, dass der Glaube ein Geschenk ist. Er kann nicht erwartet und erst recht nicht er-   unglaublich  Gedanken zum Glauben in unserer Zeit In dieser Situation ist der Glaube alles andere als selbstverständlich. Er versteht sich nicht mehr von selbst und kann auch nicht mehr fraglos von einer Generation zur anderen weitergegeben werden. Mehr und mehr wird er zu einer Frage der persönlichen Entscheidung. Das fordert auch die Zeugen des Glaubens auf ganz neue Weise heraus. Früher konnte man einem Kind das Kreuzzeichen beibringen und darauf vertrauen, dass es dessen Bedeutung in einem kirchlichen Umfeld von Gemeinde, Schule, Jugendgruppe schon erfahren würde. Doch dieses Milieu löst sich zunehmend auf, und es kommt immer mehr auf die einzelnen Glaubenden an: Können sie sich und anderen Rechenschaft geben von der Hoffnung, die sie erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15)? zwungen werden. Der eine öffnet sich für dieses Geschenk, der andere nicht. »Wir glauben doch alle an den gleichen Gott.« Diesen Satz höre ich immer wieder. Meistens geht es dann um die Ökumene und die Gegensätze zwischen Katholiken und Protestanten, die scheinbar alle überwunden sind. Wie gesagt: »Wir glauben doch alle an den gleichen Gott.« Aber stimmt das wirklich? Ich werde sehr skeptisch, wenn dieser Satz auch noch auf andere Religionen angewendet wird. Natürlich bekennen alle Christen, Juden und Muslime, dass es nur einen Gott gibt. Aber haben wir auch die gleichen Vorstellungen von Gott und gehen wir die gleichen Wege, um ihn zu verehren? Ich fürchte, wir suchen manchmal den kleinsten gemeinsamen Nenner und die allgemeinste Formel, weil wir in der Vielfalt der religiösen Bekenntnisse unsicher werden, den Überblick verlieren und selbst nicht genau wissen, was wir glauben sollen. Wie leicht ist es da zu sagen, dass alle Wege doch in gleicher Weise gültig sind. Ist das nicht auch viel toleranter, als die Wahrheit einer Religion zu behaupten? Und wer weiß schon, was wirklich stimmt? Ich habe den Verdacht, dass wir mit solchen »Glaubensbekenntnissen« der Auseinandersetzung ausweichen. Es muss kein Zeichen von Intoleranz sein, ein eigenes Bekenntnis zu haben. Im Gegenteil: Nur wer den eigenen Standpunkt gut kennt, kann auch andere Anschauungen verstehen. Und ich muss das eigene Bekenntnis nicht aufgeben, um andere achten und respektieren zu können. Die Vielfalt der Weltanschauungen sollte mich nicht dazu verleiten, Unterschiede zu relativieren, sondern um das rechte Verständnis der Wahrheit zu ringen und auch zu streiten. Solange wir über Fragen des Glaubens streiten, sind sie wichtig. Wenn alle Wege als gleich gültig angesehen werden, werden sie auch schnell gleichgültig. Der Gott, an den wir Christen glauben, ist jedenfalls nicht irgendein Gott. Die ganze biblische Tradition wehrt sich immer wieder dagegen, dass sich die Menschen nach ihren eigenen Vorstellungen und Wünschen ein Bild von Gott machen und seinen Namen für ihre eigenen Interessen und Zwecke gebrauchen oder gar missbrauchen. Gott ist »kein Ding von dieser Welt«, weil er der Grund und der Ursprung von allem ist. Deshalb ist er immer der »ganz Andere«. Wir Menschen könnten nichts von ihm wissen und nichts von ihm sagen, wenn Gott selbst uns nicht angesprochen und uns sein Gesicht gezeigt hätte in Jesus Christus, in seinen Worten und in seinem Wirken, in seiner Hingabe bis zum Tod und in seiner Auferste- 3/2012 apostel titelthema hung. Wir können nicht von Gott reden, ohne auf Christus zu hören. Das ist unser Ausgangspunkt. Wer an den Gott der Christen glauben will, muss bereit sein, eigene Vorstellungen und Bilder von Gott loszulassen und auf das zu hören, was Gott uns sagt. Denn der Glaube kommt vom Hören (vgl. Röm 10,17). Ob das alle wissen, die sich für gläubig halten? »Man kann auch gläubig sein ohne die Kirche.« Es gibt eine Menge Gründe, sich von der Kirche abzuwenden. Vom Papst bis zur Gemeinde vor Ort bietet die Kirche jede Menge Gründe zur Kritik, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart. Und schließlich fragen sich viele Zeitgenossen: Braucht es überhaupt so eine Institution, um an Gott zu glauben? Auch viele Christen, die zur Kirche gehören und der Institution wohlwollend gegenüberstehen, sagen sich oft: Ich kann auch Christ sein, ohne in die Kirche zu gehen. Ich will dies gar nicht bestreiten. Im Gegenteil: Ich glaube, viele Menschen leben und handeln im Geiste Jesu, auch wenn sie nicht zur Kirche gehen oder nicht einmal zur Kirche gehören. Der Geist weht, wo er will. Dennoch möchte ich eine Frage an dieses »Glaubensbekenntnis« stellen: Leben nicht auch diejenigen, die ohne die Kirche Christen sein wollen, von der Kirche? Wer sagt ihnen denn, was es heißt, als Christen zu leben und zu glauben, wenn nicht die Kirche? Wer jetzt entgegnet: »Das steht doch in der Bibel!«, der ist ohne Zweifel auf der Spur des christlichen Glaubens. Er bastelt sich seine Religion nicht nach eigenen Vorstellungen zusammen, sondern ist bereit zum Hören. Aber er muss sich auch fragen lassen: Wo wird denn die Bibel gelesen? Wo wird über das Wort Gottes nachgedacht und diskutiert? Ist es nicht die Gemeinschaft der Christen, wo das alles geschieht? Ist das nicht die Kirche? Es mag den einen oder anderen Menschen geben, der im stillen Kämmerlein die Bibel liest und für sich versucht, ihre Worte zu beherzigen. Aber braucht es nicht die Gemeinschaft, die erinnert und korrigiert, die unterstützt und stärkt, die hilft und Mut macht, die anstiftet zum Beten und zum Handeln und zum Lobpreis Gottes? Kirche in Deutschland: Zahlen und Fakten Wer sich von dieser Gemeinschaft abwendet, der mag noch ein paar Jahre leben in der Erinnerung an das, was er einmal in der Kirche gehört und erlebt hat. Aber wie die Erinnerung mit der Zeit verblasst, so wird auch der Glaube mit der Zeit seine Kraft verlieren. Man kann dann noch eine Weile vom Feuer des Glaubens zehren. Er kann Licht geben zur Orientierung und Wärme für das Gefühl. Aber wer ehrlich ist, wird sagen müssen: Es sind andere, die das Feuer am Brennen halten und von deren Glauben ich zehre. Es sei denn, der Funke springt erneut über, und die Glut, die unter der Asche verborgen lag, entzündet sich neu. Aber wer das erfährt, den wird es auch wieder dorthin ziehen, wo das Feuer geschürt wird: zu der Gemeinschaft der Glaubenden, die trotz aller Fehler und Schwächen, aller Krankheiten und Verbrechen, aller Neurosen und Geschmacklosigkeiten einen Schatz hütet, für den sie selbst nichts kann, den sie nicht verdient hat, der ihr einfach von Gott anvertraut wurde – das Zeugnis und die Feier des Glaubens. Dort brennt das Feuer, und manchmal springt der Funke tatsächlich über. Dann sagt jemand vielleicht: »Ich glaube schon, glaube ich jedenfalls.« Es ist ein unsicherer und tastender Glaube mit vielen Fragen und Zweifeln. Hoffentlich findet solch ein suchender Mensch dann die Kirche. Damit meine ich nicht das Haus und auch nicht nur Menschen, die zur Kirche gehen, sondern Menschen, die Kirche sind: überzeugte Zeugen, die offen sind und es verstehen, im Glauben zu ermutigen, zu begleiten und zu stärken. ■ Die Zahl der Christen hat in den letzten Jahrzehnten in der Bevölkerung Deutschlands kontinuierlich abgenommen. Knapp 62 % der rund 81 Millionen Menschen in diesem Land bekannten sich als Christen. Je­ weils knapp 30 % entfallen dabei auf die katholische und die evangeli­ sche Kirche in Deutschland, hinzu kommen noch die Mitglieder ortho­ doxer Kirchen und evangelischer Freikirchen. Mit den circa 5 % Musli­ men und den Mitglieder der jüdischen Gemeinden bekennen sich demzufolgen knapp 67 % der in Deutschland lebenden Menschen zu einer monotheistischen Religion. Untersuchungen zur Kirchenbindung der deutschen Katholiken zei­ gen, dass die Zahl der regelmäßigen Gottesdienstbesucher auf mittler­ peter egenolf sscc weile 12,3 Prozent gesunken ist. Vor 50 Jahren waren es noch rund 4 mal so viele. Laut einer Allensbach-Um­ frage aus dem Jahr 2009 bezeichnen sich 17 % Uns interessiert, was Sie denken. Gehört der Glaube der Katholiken als »gläubige Kirchennahe« für Sie zu einem glücklichen Leben? Und wie halten Sie und 37 % als »kritische Kirchenverbunde­ es mit der »Institution Kirche«? Auf unserer Website könne«. Etwa die Hälfte aller Katholiken in nen Sie Ihre Meinung kund tun. Oder schreiben Sie uns per Deutschland bezeichnen sich selber als Post und lassen Sie uns wissen, ob wir Ihren Text veröffentdistanziert, unsicher oder nicht religiös, sind lichen dürfen. u www.arnsteiner-patres.de/glaube.html aber dennoch getaufte Mitglieder der Kirche und zahlen Kirchensteuer (siehe Website www.dbk.de). 8 apostel 3/2012 Geistlicher Wegbegleiter Anregungen für die Monate Oktober, November und Dezember Heilungsgeschichten im Neuen Testament Foto: © Kevin Russ Geistlicher Begleiter zum Heraustrennen Berührung und Neubeginn Nicht hören zu können, ist eine massive Beeinträchtigung. Manche von Ihnen haben eine Ahnung davon, wie es ist, immer wieder nachfragen zu müssen oder darum zu bitten, dass die anderen doch lauter sprechen mögen. Man traut sich dann oft genug gar nicht mehr, am Gespräch teilzunehmen, weil man Angst hat, etwas falsch verstanden zu haben und sich lächerlich zu machen. Wer nicht richtig hören kann, wird mit der Zeit meist auch stummer. Immerhin – heute gibt es Hörgeräte, die die Teilhabe erleichtern. Denn: nicht verstehen zu können, nicht zu hören, was passiert, das schließt aus, macht Gemeinschaft schwer, manchmal sogar unmöglich. In den Heilungsgeschichten, die anschließend vorgestellt werden, werden keine Einzelschicksale beschrieben, die wir uns aus einer geschichtlichen Distanz anhören, von denen wir aber weiter nicht betroffen sind. In den Evangelien werden beispielhaft Wege dargestellt, Glaubenswege, die Menschen in der Begegnung mit Jesus und seiner Verkündigung vom nahenden Gottesreich erlebt haben. So können wir heute mithilfe dieser überlieferten Erfahrungen lernen, unser eigenes Leben aus dem Glauben zu deuten. Immer geht es darum, zunächst das eigene konkrete Leben wahrzunehmen mit all dem, was ist, was zu unserem Alltag, was zu unserem Leben gehört, und dann dieses konkrete Leben durch die Brille unseres Glaubens neu zu betrachten und zu verstehen. So ist es möglich, heil zu werden, Heilung zu erfahren. Ich wünsche Ihnen gute, heilsame Begegnungen und dass Sie sich von IHM berühren lassen. Ihr Pater Gerd Nieten SSCC Impulse für den Monat Oktober Effata – Öffne dich! Bibelstelle für Oktober: Heilung eines Taubstummen (Mk 7,32–37) Die Beziehung zu Gott ist nie ein rein geistlicher Prozess, sie ist immer auch ein leibliches und materielles Geschehen. Um die Einheit von Leib und Seele, von Körper und Geist, genauer: Um Berührungspunkte geht es in dem folgenden Text. Was bedeutet es für Leib und Seele, Körper und Geist, wenn ich einen anderen berühre, wenn ich selbst von einer anderen wirklich berührt werde? Foto: © Cagri Özgür Ein »Taubstummer« ist in unserer Alltagssprache jemand, der nicht wirklich hören kann, an dem alles vorbeirauscht. Vielleicht erreicht vieles sein Ohr, aber es dringt nicht ein. Er kann es nicht hereinlassen, er kann nicht so zuhören, dass es etwas bei ihm bewirkt. Und er hat nichts zu sagen, er bringt nichts heraus – vielleicht auch deshalb, weil er nichts hört. Man bringt ihn zu Jesus, er selbst bleibt eher unbeteiligt – auch hierin ist er taub und stumm. Es sind die anderen, die Jesus bitten, er möge ihn berühren. Berühren – wörtlich: Die Hände auflegen. Es geht um eine heilende, Kraft übertragende Berührung. Er braucht Kraft zum Sprechen, zum Hören, zum Leben: Es muss endlich einmal etwas wirklich zu ihm durchdringen können, und er muss endlich äußern können, was in ihm vorgeht. Jesus nimmt ihn beiseite, von der Menge weg. Was hier geschieht, bedarf also ganz ausdrücklich eines intimen Rahmens. Im Kern einer Beziehung, auch der Beziehung zu Gott, steht etwas, das nur den anderen (Gott) und mich etwas angeht. Dazu hat kein Dritter Zugang. Dorthin führt Jesus. »Effata – öffne dich!« Beim Berühren und Berührenlassen geht es darum, sich zu öffnen. Doch nicht die Berührung an sich öffnet, sondern die Liebe, die sich darin überträgt. Fragen zum Nachdenken »Taub-stumm«: Was heißt das für mich? Wo erkenne ich das in meiner Umgebung wieder, wo erkenne ich es bei mir wieder? Jesus nimmt den Taubstummen beiseite, von der Menge weg. Wenn er mich jetzt, heute, beiseitenehmen würde, was würde ich dann gerne mit ihm bereden? In welchen Bereichen müsste ich mich öffnen, um wirklich weiterzukommen? Wo möchte ich selbst anderen helfen, sich zu öffnen? Gebet Herr Jesus Christus, warum muss es geschehen, dass wir taub sind für dich und dein Wort in unseren Herzen verloren geht? Du hast Tauben die Ohren geöffnet und Menschen befreit aus der Macht, die sie gefangen hielt. Dein schaffendes Wort kann auch uns freimachen und heilen. Nimm uns mit dir in die fruchtbare Stille. Sprich weiter zu uns, bis wir dich hören und verstehen und in allen Menschen und Dingen deine Botschaft erkennen. (Eine Zeit des Redens, Verlag Gerhard Kaffke, Bergen-Enkheim, S. 89) Impulse für den Monat November In Kontakt kommen Bibelstelle für November: Heilung einer an Blutungen leidenden Frau (Mk 5,24–34) Geistlicher Begleiter zum Heraustrennen Der folgende Text erzählt von einer Frau. – Einer Frau, aus der das Leben wegfließt, ohne fruchtbar zu werden. Sie leidet an Blutungen, an Blutverlust. Blut ist ein Symbol für Leben. Sie kann das Leben nicht festhalten, nicht beschützen und bis zur Geburt schützend in sich tragen. Während ihrer Periode galt eine Frau als unrein. Es war im Gesetz ausdrücklich verboten, geschlechtlich mit ihr zu verkehren. So bleibt ihr Leben unfruchtbar. Im Gegensatz dazu steht die Ausstrahlung Jesu, bei dem sie förmlich spürt, dass von ihm Leben ausgeht. Die Frau hat alles Menschenmögliche versucht, aber das, was Menschen können, hat nicht geholfen. Sie drängt sich in der Menge von hinten an Jesus heran, um sein Gewand zu berühren. Jesu Gewand berühren, heißt eigentlich: Ihn in dem berühren, was seine Berufung ist, in seiner gottgegebenen Kraft. Das ist nicht eine Berührung einfach so im Vorbeigehen. Sie spürt, was wirklich los ist. Jetzt hat sich wirklich etwas in ihr verändert. Auch Jesus spürt es. Es ist, als ob diese Zwei sich mitten im Gedränge auf einer völlig anderen Ebene bewegten: Sie sehen und spüren, was wirk-lich ist, was wirkt. Jesus fühlt: Hier hat mich jemand berührt, nicht einfach nur nach mir gegriffen. Dieser Kontakt, diese Art von Berührung hat Auswirkungen auf ihr ganzes Leben. Sie sagt ihm die »ganze Wahrheit«. Und Jesus sagt zu ihr: Du bist ganz genesen. Dir hat es geholfen, dass du an mich geglaubt hast, dass du mir vertraut hast. Fragen zum Nachdenken Was im Text hat mich getroffen und warum? Wie ist der Bezug zu meinem Leben? Mit wem oder was will ich in meinem Leben wirklich in Kontakt kommen, sodass dieser Kontakt Auswirkungen auf mein Leben hat? Gebet Herr Jesus, unser Glaube an dich kommt nicht weiter als bis zum Saum deines Gewandes. Du aber kommst uns entgegen und lässt uns deine Nähe erfahren. Eine Kraft geht von dir aus und heilt uns an Leib und Seele. Du Heiland und Erlöser, erbarme dich über uns und die ganze Welt. (Pilgerbuch: Heilig-Rock-Wallfahrt, Trier 1996, S. 113) Foto: © Thomas Knauer Impulse für den Monat Dezember Zum Berühren nahe Bibelstelle für Dezember: Thomas berührt den Auferstandenen (Joh 20,24–29) Augenscheinlich handelt es sich bei dem folgenden Text nicht um eine Heilungsgeschichte; wohl aber zeugt dieser Text von einer einschneidenden Veränderung, in der es ganz besonders um das »Berühren«, um das leibliche Erfahren des Evangeliums geht. Es ist eine sehr bekannte Geschichte, in der der Apostel Thomas die Hauptrolle spielt. Thomas will es selber wissen. All das Gerede der anderen über die Auferstehung überzeugt ihn nicht: Wenn es einen Gott gibt, wenn er Jesus wirklich zu neuem Leben hat auferstehen lassen, dann muss es auch begreiflich sein, dann muss auch der nüchterne Verstand etwas damit anfangen können. Thomas will alles be-greifen – aber begreifen ist nicht alles. Thomas will tasten, fühlen; er will das, was er glaubt, direkt auf der Haut spüren. Thomas braucht Körperkontakt, er will die wunden Stellen berühren. Er hat noch nicht erkannt, dass das Wesentliche in einer Beziehung ungreifbar bleibt, dass ein Erkennen des anderen auch des tiefen Vertrauens, ja des Glaubens bedarf. Acht Tage später ist er mit von der Partie. Die Türen sind wieder verschlossen: Noch immer ist keiner so recht zugänglich, noch immer überwiegt der Rückzug, die Trauer über den, den sie verloren glauben. In dieser Situation erscheint Jesu. Es ist kein Spuk, sondern er ist auf einmal da, anwesend mitten unter ihnen, spürbar, sichtbar für den, der mit dem Herzen sieht. Thomas kann sich dem nicht entziehen. Er ist dabei, er hat den kleinen Finger ge- geben – und erhält die ganze Hand. Er streckt seine Hand aus – und darf Jesus im Herzen berühren. Sei nicht ungläubig, vertraue endlich! Nur im Vertrauen hast du wirklich Zugang zu dem, um was es geht. Fragen zum Nachdenken Gibt es irgendeine Verwandtschaft zwischen Thomas, mir selbst und anderen Menschen in meiner Umgebung? Thomas war nicht dabei – dies sagt auch etwas über seine Furcht, sich zu bekennen. Gibt es auch bei mir Dinge, zu denen ich mich nur schwer oder lieber gar nicht bekenne, wo ich nicht »dabei bin«, obwohl ich spüre, dass mehr dahintersteckt? Gebet Gott, nicht mit eigenen Augen haben wir deinen Sohn Jesus Christus gesehen, und unsere Hände haben seinen Leib nicht berührt, und doch versuchen wir, an ihn zu glauben. Wir bitten dich, rüste uns aus mit deiner Kraft, sende uns deinen Heiligen Geist, der uns zur vollen Wahrheit bringen wird schon jetzt in diesem Leben und bis in Ewigkeit. Huub Oosterhuis, Ganz nahe ist dein Wort Verlag Herder, Freiburg 1969, S. 119 interview zum zweiten vatikanischen konzil Ein Jahrtausendereignis – hautnah erlebt Interview mit einem Zeitzeugen des Zweiten Vatikanischen Konzils – Teil 1 Am 11. Oktober 2012 jährt sich zum fünfzigsten Mal die feierliche Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils durch Papst Johannes XXIII. Ursprünglich von der römischen Kurie wohl nur für wenige Wochen geplant, dauerte die Versammlung der Bischöfe bis zum 8. Dezember 1965. Nachdem Johannes XXIII. 1963 verstorben war, führte sein Nachfolger Paul VI. das Konzil fort. Dieses 21. Konzil in der fast 2.000­jäh­ rigen Geschichte der katholischen Kirche war für die Kirche ein Jahrhundert­, wenn nicht Jahrtausendereig­ nis. Seine Folgen katapultierten die katholische Kirche gewissermaßen in die Moderne, indem sie sich auf ihre Wurzeln besann. Pater Gabriel, was war das für eine Kirche Ende der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts, als Papst Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil einberief? Als ich im Oktober 1958 nach Rom kam, war ein paar Tage vorher Papst Pius XII. gestorben. Mit diesem Papst, der fast drei Jahrzehnte lang amtierte, ging – aus heutiger Sicht betrachtet – eine Ära zu Ende. Es war eine ganz andere Welt, eine ganz andere Kirche, als die, die wir heute kennen. Die katholische Kirche war so etwas wie eine von oben nach unten hierarchisch strukturierte, geschlossene, klerikale Gesellschaft, die den Zweifel oder unterschiedliche Auffassungen nicht zu kennen schien. Die heilige Messe wurde nach tridentinischem Ritus mit dem Rücken zum Volk in lateinischer Sprache zelebriert – für die meisten Katholiken, die kein Latein verstanden, eine mystische Geheimsprache. Und die Kirche war kulturell ganz eindeutig europäisch geprägt, fast alle Bischöfe und Priester auch in den sogenannten Missionsgebieten waren Europäer. Schnappschuss eines Zeitzeugen: Eröffnung des Konzils Pater Gabriel Simon SSCC Der 1937 in der Eifel geborene Arnsteiner Pater besuchte die Schule und das Internat des Ordens in Lahnstein. 1957 trat er ins Noviziat ein, studierte von 1958 bis 1967 in Rom und wurde 1965 zum Priester geweiht. Pater Simon unterrichtete von 1967 bis zum Jahr 2006 zunächst an der ordenseigenen Hochschule in Simpelveld und ab 1980 an der Hochschule der Franziskaner und Kapuziner in Münster als Professor für Philosophie. Unterbrochen wurde die Lehrtätigkeit durch seine Zeit als Provinzial der Deutschen Provinz SSCC von 1982 bis 1991. Pater Simon lebt im Konvent der Gemeinschaft in Münster und widmet sich ordensgeschichtlichen Studien. Entsprach das geschlossene System wirklich der Realität der Kirche? Von der römischen Kurie aus betrachtet sicherlich! Zwar gab es in Deutschland und Frankreich insbesondere in der Liturgie bereits einige Aufbrüche, doch diese wurden in der Gesamtkirche noch kaum wahrgenommen. Auch gab es neue Ansätze beispielsweise in der theologischen Wissenschaft oder auch in der Bibelwissenschaft, aber das war insgesamt noch sehr randständig. Allerdings zeigte sich in den auf dem Konzil frei geführten Diskussionen, dass sich unter dem Deckmantel der erstarrten Geschlossenheit schon einiges entwickelt hatte, was nun fruchtbar werden konnte. 3/2012 apostel 13 Konzilsteilnehmer der SSCC-Ordensgemeinschaft – während der 1. Sitzungsperiode des Konzils – mit Mitbrüdern des Studienhauses und des Generalates SSCC im Garten des Studienhauses in Rom. Die Zusammenkunft von 2.498 Bischöfen, den sogenannten Konzilsvätern, mit weiteren knapp 550 Beratern und Beobachtern bestimmte das Verhältnis zu anderen christlichen Konfessionen und anderen Religionen neu. Dialog trat an die Stelle von Abgrenzung. Auch das Kirchenverständnis änderte sich: Kirche wurde fortan verstärkt als weltweite Gemeinschaft der Getauften verstanden. Was für die meisten Katholiken am wichtigsten war: Die heilige Messe wurde nun in der jeweiligen Landessprache gefeiert. Was war aus Ihrer Sicht das Hauptmotiv von Johannes XXIII., ein Konzil einzuberufen? Die Ankündigung des Konzils war zunächst eine totale Überraschung. Der Papst hat zwar ein paar Vertraute zu Rate gezogen, doch scheint es seine ureigene Idee gewesen zu sein. Es ist viel spekuliert worden, ob es eine spontane Eingebung des Geistes war oder aber eine schon lange gereifte Idee. Nach meiner Kenntnis würde ich dies wie folgt beantworten: Bevor der spätere Papst in den diplomatischen Dienst des Vatikans kam, war er Kirchenhistoriker. Er kannte sich sehr gut in der Geschichte der Kirchen aus und wusste, dass es immer wieder Veränderungen gegeben hatte, dass die Kirche auf ihre Umwelt und die sich wandelnden gesellschaftlichen Verhältnisse reagiert und sich somit weiterentwickelt hatte, indem sie versuchte, Antworten auf die Fragen der jeweiligen Epoche zu geben. Seine Diplomatenjahre, die er in Bulgarien, der Türkei und in Frankreich verbracht hatte, hatten zudem seinen Horizont geweitet für die Fragen und Realitäten außerhalb der katholischen Welt Roms und Italiens. Die Begegnung mit den orthodoxen Kirchen, mit der muslimischen Welt und in Frankreich die Erfahrungen mit einer starken Arbeiterbewegung, mit der Bewegung der Arbeiterpriester. All das hat ihn stark geprägt. Für ihn war deutlich, dass die Kirche eine Sprache sprechen muss, die die Menschen heute verstehen, dass sie die Botschaft Jesu Christi immer wieder neu übersetzen muss. Er wusste, dass die Kirche hier einen großen Nachholbedarf hatte, war sie doch in den historisch gewachsenen Formen des 19. Jahrhunderts erstarrt. Wenn die Kirche ihrer Sendung treu bleiben wollte, dann musste sie sich verändern, durfte der Welt nicht einfach nur in Form von Konfrontation begegnen, son- 14 apostel 3/2012 dern musste den Dialog suchen. Die Kirche, so sagte er, ist verpflichtet, diese Welt und ihre Fragen wahrzunehmen und darauf zu antworten. Das ist ihre Sendung. Und auf die Frage, was das Konzil bewirken solle, antwortete er mit dem berühmten Wort: Wir wollen die Fenster öffnen, damit frischer Wind in die Kirche kommt. Ein frischer Wind der Erneuerung der Kirche nach innen und des Zugehens der Kirche auf die Welt, in der sie lebt. Die bisherigen Konzilien hatten sich immer mit Fragen der Doktrin, der richtigen Lehre, mit Verurteilungen von Irrtümern beschäftigt oder mit Fragen der Disziplin, Fragen des Kirchenrechts. Für Johannes XXIII. stand eine solche Ausrichtung nicht an. Für ihn war klar: Das Konzil müsste eine pastorale Ausrichtung haben, also ein Pastoral-Konzil sein. Er wollte ein Konzil der Erneuerung der Kirche. Er wusste wohl, dass er krankheitsbedingt nur wenig Zeit haben würde, und glaubte, dass es sein Auftrag sei, seine Berufung, gegen alle Widerstände ein solches Konzil einzuberufen. Und Widerstände aus der römischen Kurie gab es jede Menge. Gab es denn damals so etwas wie einen Ruf nach einem Konzil? Meines Erachtens gab es damals eigentlich keinen Ruf nach einem Konzil, im Unterschied zu heute, wo dies immer mal wieder gefordert wird. Aber es gab in vielen Bereichen Stimmen, die sagten, die Kirche brauche Erneuerungen gerade auch nach den Umwälzungen des Zweiten Weltkrieges. Es war damals schon eine sehr bewegte Zeit, das Ende der Kolonialzeit, und damit auch für die Kirche eine ganz neue Situation. Die ersten Vorläufer der 68er-Bewegung waren schon spürbar, vaticanum große gesellschaftliche Umwälzungen deuteten sich an. Es gab Reformwünsche, aber es war nicht so, dass man von außen nach einem Konzil gerufen hätte. Doch als das Konzil angekündigt war, da wurde sehr schnell deutlich, dass es in vielen Teilen der Weltkirche Anfragen und Wünsche gab, vor allem auch in Deutschland und Frankreich, bezüglich der Liturgie und neuer theologischer Erkenntnisse. Man kann vielleicht sagen, dass die Ankündigung des Konzils der notwendige Anstoß war, um eine Dynamik in Gang zu setzen, die wahrscheinlich noch nicht einmal der Papst so erwartet hatte. Er wollte einen möglichst offenen dialogischen Prozess, und dieser hat sich dann in der ersten Sitzungsperiode des Konzils entwickelt und damit auch die Zielsetzungen definiert. Wie haben Sie dieses Ereignis erlebt? Welche Erwartungen hatten Sie an das Konzil? Ich bin 1958 nach Rom gekommen, 1959 wurde das Konzil angekündigt, und 1967, knapp zwei Jahre nach Ende des Konzils, endete meine Zeit in Rom. Ich war Anfang 20, habe studiert, und es waren die ersten Jahre meines Ordenslebens. Es war eine ungeheuer spannende Zeit mit vielen Umbrüchen, neuen Ideen und Erfahrungen. Ich kann sicher sagen, dass dies alles mein ganzes Leben nachhaltig und bis heute entscheidend geprägt hat. Haben Sie denn in Rom viel mitbekommen von den Diskussionen und Debatten des Konzils? Wir haben alles hautnah mitbekommen, denn das Konzil fand sehr öffentlich statt, es war keine geschlossene Gesellschaft. Ich wohnte mit den anderen Studenten im internationalen Studienhaus unserer Ordensgemeinschaft. Während der Zeit des Konzils wohnten teilweise bis zu zehn Bischöfe unserer Gemeinschaft bei uns im Haus. Diese und auch der Generalobere nahmen am Konzil teil. Wenn wir abends auf der Terrasse Deutsche Mitbrüder in Rom mit Bischof Johannes Rüth aus Trondheim in Norwegen (rechts hinter Bischof Rüth steht, etwas verdeckt Pater Gabriel) standen, dann diskutierten sie über die Debatten, bildeten sich ihre Meinung über die kontroversen Aus­ einandersetzungen, trafen sich in verschiedenen Gruppierungen, um sich abzusprechen oder Texte vorzubereiten. Da waren wir Studenten mittendrin und bestens informiert über die großen Veränderungen, die das Konzil in Gang brachte. Zudem hatten wir die Möglichkeit, zu den zahlreichen Vorträgen der Konzilstheologen zu gehen, ich ging häufig zu den Vorträgen Ratzingers, wo wir ganz neue Sichtweisen und Zugänge erfuhren. So war es für uns sehr spannend zu erleben, wie am nächsten Morgen die Professoren in der Vorlesung mit den neuesten Texten oder Diskussionen des Konzils umgingen. Sie hatten bisher beispielsweise jahrzehntelang mit den gleichen Traktaten und Lehrbüchern über die Kirche doziert und mussten dies jetzt mit den teilweise völlig anderen Diskussionen auf dem Konzil in Einklang bringen. Hatten sie bisher ein strikt hierarchisches Kirchenbild von oben nach unten gelehrt, so wurde dies jetzt vom Kopf auf die Füße gestellt: Das Entscheidende war nun die Basis, das Volk Gottes, alle Getauften, und von daher leiteten sich erst Aufgaben und Ämter ab und nicht umgekehrt. Es waren teilweise wahre Eiertänze, die da vollbracht werden mussten, um dies mit ihren alten Manuskripten in Einklang zu bringen. Und für uns Studenten eröffneten sich neue Welten, neue Erfahrungen von Kirche. Es war eine ungeheure Weitung des intellektuellen Horizonts, zu erleben, dass es nicht nur einen wahren Zugang zum Verständnis der Bibel gibt, sondern dass sich die Wahrheit auf verschiedenen Wegen erschließt. Was bisher wie eingefroren erschien, das wurde wieder flüssig, vieles war neu zu entdecken, eine ungeheure Faszination. Und ganz entscheidend: Wir erlebten zum ersten Mal wirklich die Weltkirche. So kamen die Bischöfe unserer Gemeinschaft aus Ozeanien, Amerika, Norwegen, Asien und Afrika, mit ihren Erfahrungen aus ganz anderen Kulturen und Religionen. Und an der Universität studierten wir gemeinsam mit Studenten aus allen Kontinenten, die in unterschiedlichen Riten und kulturellen Kontexten zu Hause waren. Die Gespräche mit ihnen und das gemeinsame Zusammenleben haben unser Bild der Welt und der Kirche massiv geweitet und verändert. Es war eine Zeit voll großer Hoffnungen und eine wirkliche Aufbruchstimmung, in der es auch für einen persönlich viel Neues zu entdecken gab. ■ interview: thomas meinhardt Fortsetzung folgt! In der nächsten Ausgabe des Apostels veröffentlichen wir den zweiten Teil des Interviews mit Pater Gabriel Simon SSCC. Dort berichtet er von den wichtigsten Ergebnissen des Konzils, der »Gruppendyna­ mik« unter den Bischöfen, die diese Aufbrüche überhaupt erst ermöglichten, den Versuchen der römischen Kurie, möglichst alles zu bremsen, und den Auseinandersetzun­ gen mit den Traditionalisten … 3/2012 apostel 15 porträt der Flughafenpolizei«. Für den frischgebackenen Polizeiseelsorger ging es zunächst darum, sich zurechtzufinden. Allein das Polizeipräsidium in Frankfurt ist ein Riesengebäude mit 2.500 Mitarbeitenden. Was macht ein Polizeiseelsorger? Franz Koll SSCC Seelsorger für die Freunde und Helfer Pater Franz Koll gehört zur Kommunität des Klosters Arnstein und ist von daher vielen unserer Leser bekannt. Er feiert Gottesdienste in Arnstein und Umgebung, betreut die Besucher der Jugendbegegnungsstätte und ist fast immer dabei, wenn im Haus kulturelle und gesellschaftliche Veranstaltungen stattfinden. Ein ganz normaler Pater also, könnte man glauben. Wenn nicht auf dem Rücksitz seines Autos ein kleiner Bär säße, ein Stofftier mit Polizeijacke, Polizeimütze und einer Winkkelle. Pater Franz hat nämlich noch eine andere, wenig bekannte Tätigkeit: Seit 2009 ist er »Polizeiseelsorger im Land Hessen«. Pater Franz hat sich diesen Dienst nicht ausgesucht. Sein Verhältnis zur Polizei deckte sich mit den Erfahrungen vieler Autofahrer: Die Polizei verteilt »Knöllchen«. Er kam dazu, weil das Bistum Limburg immer wieder für die Polizeiseelsorge Priester suchte. Das Bistum wandte sich an die Ordensgemeinschaft, Pater Franz wurde gefragt und wagte den Schritt in ein ganz neues Aufgabenfeld. Im trockenen Behördendeutsch ist er nun »Polizeiseelsorger im Land Hessen, abgestellt für das Polizeipräsidium Frankfurt mit den 19 dazugehörenden Bezirken und 16 apostel 3/2012 Dieser Frage begegnet Pater Franz mit dem Hinweis, dass der Alltag eines Polizisten sich massiv von »Tatort-Krimis« unterscheide. Polizist zu sein, ist ein harter Beruf. Ständig wechselnde Dienstzeiten sind ehe- und familienfeindlich; viele Einsätze sind mit Stress und Angst verbunden, der Schichtdienst ist gesundheitsschädlich. Zudem geraten Polizisten immer wieder in menschliche Grenzsituationen: Sie erleben Hass und Gewalt, sind konfrontiert mit dem Tod bei Verbrechen, Selbstmorden und Unfällen. Sie mussten vielleicht selbst zur Schusswaffe greifen. Polizisten erleben Gewissenskonflikte, wenn ihr Dienst ihnen Dinge abverlangt, mit denen sie persönlich vielleicht nicht einverstanden sind, wie zum Beispiel beim Schutz eines Atommüll-Transports oder der Abschiebung einer Familie. Der Polizeiseelsorger betreut also Menschen, die aufgrund sehr unterschiedlicher Erlebnisse selbst in Not geraten sind. Sie leiden unter traumatischen Erfahrungen, sind ausgebrannt und erschöpft, haben Probleme mit sich selbst und ihren Familien. Der Polizeiseelsorger jagt nicht mit Blaulicht von Tatort zu Tatort, er ist »zu Hause« im Präsidium und hat feste Sprechzeiten, um erreichbar zu sein. Wer zu ihm kommt, weiß, dass ihm jemand gegenübersitzt, der nicht Teil des Polizeiapparates ist. Er ist ein unabhängiger Seelsorger, der dienstlich nur dem Bischof verantwortlich ist und dessen Unabhängigkeit auch seitens der Polizeiführung akzeptiert, ja geschätzt wird. Polizeiseelsorge Polizeiseelsorge ist heute Ländersache und wird in Absprache mit den jeweiligen Diöze­ sen und Landeskirchen organisiert. Alle Poli­ zeiseelsorger sind ihren Bischöfen verantwort­ lich und bei ihren seelsorglichen Tätigkeiten von staatlichen und polizeilichen Weisungen unabhängig. Die Seelsorger haben ein Zeug­ nisverweigerungsrecht, daneben sichert das Beichtgeheimnis Vertraulichkeit und Unab­ hängigkeit. Bundesweit arbeiten zurzeit etwa 110 Frauen und Männer als katholische Poli­ zeiseelsorger. porträt Viele unterschiedliche Menschen und Aufgaben Vom Dienstauftrag her ist der Polizeiseelsorger für die Polizisten, die Beamten im Verwaltungsdienst und deren Familien zuständig. Die konfessionelle Zugehörigkeit spielt dabei eine vergleichsweise geringe Rolle. Pater Franz weist darauf hin, dass bei vielen Mitarbeitenden die Institution Kirche wenig gefragt ist. Auch der Anteil derjenigen, die keiner Glaubensgemeinschaft angehören, ist groß. Aber es gibt eine große Bereitschaft zum Gespräch. Man wünscht sich einen Menschen, der zuhört. Pater Franz beginnt zu schwärmen, wenn er von seinen vielfältigen Aufgaben erzählt. Er wird zu Taufen und Hochzeiten eingeladen, segnet Polizeiboote oder Einrichtungen. Zu seinen Aufgaben gehört auch der Vereidigungsgottesdienst der neuen Polizisten, der jährlich am Tag der Polizei während der Hessentage gefeiert wird. Auf meine Frage, wie viele der jungen Polizisten an diesem freiwilligen Gottesdienst teilnehmen, antwortet er: »Fast alle«. Herausforderungen Zu den schwersten Aufgaben der Seelsorge gehört das Überbringen von Todesnachrichten. Es gibt für diesen Zweck zwar speziell geschulte Polizisten, aber gerade hier ist der Beistand des Seelsorgers besonders notwendig und gefragt. Einfühlungsvermögen und Klugheit sind erforderlich, um die Betroffenen vor Reaktionen zu beschützen, die sie oder an- Nach drei Jahren als Polizeiseelsorger meint Pater Franz Koll: »Ich bin positiv überrascht, wie groß das Bedürfnis nach guten, seelsorglichen Gesprächen ist.« dere in Gefahr bringen könnten. Deswegen besteht eine solche Gruppe aus zwei bis drei Personen. Eine andere sehr belastende Aufgabe ist die Betreuung von Beamten, die im Dienst Menschen verletzt oder getötet haben. Sie benötigen Beistand oft über Jahre. Mitunter ist der Seelsorger auch ganz nahe am Puls dramatischer Ereignisse. Er gehört nämlich zum Kriseninterventionsteam, das für extreme Notsituationen in Deutschland zuständig ist. Das Kriseninterventionsteam betreut auch solche Beamte, die zu Auslandsmissionen freigestellt werden. Deutsche Polizeibeamte bilden Kollegen in Afghanistan, im Kosovo oder in Palästina aus. Als das »Auslandsbetreuungsteam« der hessischen Polizei ihre Kollegen im Kosovo besuchte, war Pater Franz mit dabei. Das zeigt, wie sehr sein Dienst geschätzt und geachtet ist. ■ heinz josef catrein sscc 3/2012 apostel 17 symbole der kirche – kurz erklärt Geheimnisvolles – so sagt der Pariser Volksmund – geschehe jeden Tag auf dem Père Lachaise, dem größten und bekanntesten Friedhof der französischen Hauptstadt. Seit Urzeiten werde dort täglich auf einem Doppelgrab eine frische Rose niedergelegt. Darin ruhen die sterblichen Überreste von Abaelard und Heloise, einem Philosophen- und Liebespaar, das vor jetzt tausend Jahren tragisch endete. Er hatte im sogenannten Universalienstreit (siehe auch: www.philolex. de/abaelard.htm) erklärt, der Begriff Rose bliebe, auch wenn es keine wirklichen Rosen gäbe. Wohl keine Blume der Welt ist so oft gegenwärtig, vor allem in religiösem Umfeld. »Es ist ein Ros’ entsprungen«, singen wir seit Jahrhunderten an Weihnachten. »Rose ohne Dornen« ist die Muttergottes in einem alten fränkischen Wallfahrtslied. In der lauretanischen Litanei ist sie die »mystische Rose« und in jedem Rosenkranz wird sie dreiundfünfzig Mal angerufen. Als »Rose unter Dornen« hat ein kalifornischer Künstler unserer Tage den heiligen Damian von Molokai auf einer Ikone dargestellt. Unübersehbar sind die Romane, Gedichte, Bilder, Lieder und Filme, die mit der Rose locken. »Dornröschen« ist nur eines von vielen Märchen, in denen sie eine Rolle hat, der Roman »Der Name der Rose« eine bekannte Geschichte von vielen ähnlichen. Die kleine Rose – Rosette – leuchtet in allen Kathedralen und ist in Goethes Versen als streitbares Röslein über fünfzig Mal vertont. In vielen Wappen ist sie zu finden. Auch in der Wetterkunde hat sie ihren Platz. Die alten Griechen bewunderten die rosenfingrige Morgenröte, die Windrose ist Rose – ohne Dornen? das Navi von früher. »Rote Rosen« heißt eine Dauerserie im nachmittäglichen Fernsehen. Rosen werden massenhaft gebraucht, wenn in den Seifenopern erste Liebe und offizielle Eheanträge mit Kniefall zu feiern sind. Die amerikanische Dichterin Gertrude Stein schrieb 1913, ganz im Sinne Abaelards und ebenso geheimnisvoll: »Rose is a rose is a rose is a rose.« Will sagen: Das Wertvolle hat Bestand. Mehr als 300 verschiedene Arten der Rose soll es geben, die wahrscheinlich aus dem Gebiet des heutigen Iran stammt und noch immer in neuen Formen gezüchtet wird. Nicht umsonst heißt sie Königin der Blumen. Doch bringt sie nicht nur Freude, sie kann auch wehtun. So mag einer auf Rosen gebettet sein oder von Gürtel- und Wundrose gequält werden. Auch heute noch gibt es Rosenkriege. Man findet sie in Literatur und Kunst, aber nicht in den Kernbüchern der Heiligen Schrift. Weder in der hebräischen Bibel noch im Neuen Testament wird sie erwähnt. Aber sie erscheint in griechischen Texten des Alten Testaments, etwa im Buch der Weisheit 2,8. Die Rose, vor allem die rote Rose, erinnert daran, dass Schönheit, Glück und Liebe nicht ohne Dornen und blutige Finger zu haben sind. Ein Nichts waren wir, sind wir, werden wir bleiben, blühend: die Nichts-, die Niemandsrose. Paul Celan Nichts – aber blühend, weil ER uns voraus gegangen ist. »Sie flochten einen Kranz aus Dornen, den setzten sie ihm auf den Kopf« (Mt 27,29). Dornenrose war Sein Leben, rosenrot das letzte Geschenk Seiner Liebe: die geöffnete Seite, aus der Blut und Wasser fließen. ■ friedhelm geller sscc 18 apostel 3/2012 4/2010 nachrichten Silbernes Professjubiläum Zu seinem 25-jährigen Professjubiläum (Fest der Or­ denszugehörigkeit) hatte Pater Ludger Widmaier SSCC (Mitte) am 2. Juni neben seiner Familie und den Mitbrüdern auch Menschen eingeladen, die ihn auf verschiedenen Wegen seines Wirkens unterstützt und begleitet haben. Nach Niederlahnstein kamen so auch viele frühere Mitstudenten, Mitarbeitende aus dem Umfeld der Arnsteiner Jugendwallfahrt und der Citykirche in Koblenz sowie die Unterstützungsgrup­ pe für den Jugendaustausch mit der Lahnsteiner Partnergemeinde Peje im Kosovo. ■ Solidarität mit Bootsflüchtlingen Immer wieder sterben Flüchtlinge im Mittelmeer bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen. Die katholi­ sche Friedensbewegung Pax Christi fordert seit Lan­ gem, dass die Kontrolle der Seegrenzen durch FRONTEX – die Grenzschutztruppe der Europäi­ schen Gemeinschaft – menschenrechtlichen Stan­ dards entspricht und die Rechte von Menschen in Not respektiert. Die Lahnsteiner Pax-Christi-Gruppe, in der Pater Wolfgang Jungheim SSCC von Beginn an mitarbeitet, gedachte der zahlreichen ertrunkenen Menschen und warf als Zeichen der Erinnerung Rosen in den Rhein. ■ Diese und weitere Nachrichten finden Sie auf unserer Website www.arnsteiner-patres.de Impressum Ihnen hat die Zeitschrift »Apostel« gefallen? Apostel (ISSN 1611-0765) Ihnen hat die Zeitschrift »Apostel« gefallen? Die Quartalszeitschrift wird kostenlos ab­­gegeben. Falls Sie den Apostel zugesandt bekommen möchten, melden Sie sich bitte bei: Provinzialat der Arnsteiner Patres e. V. Johannesstraße 36 A 56112 Lahnstein Herausgeber: Provinzialat der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens (Arnsteiner Patres e. V.), Johannesstraße 36 A, 56112 Lahnstein, Tel.: 0 26 21  62 99 15, Fax: 0 26 21  62 99 20, E-Mail: provinzialat@sscc.de, Internet: www.arnsteiner-patres.de SSCC ist die Abkürzung für die Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen, in Deutschland als Arnsteiner Patres und auch als Picpus (nach der Straße des Mutterhauses in Paris) bekannt. Redaktion: Heinz Josef Catrein SSCC (verantwortlich) • Martin Königstein SSCC • Kerstin Meinhardt • Thomas Meinhardt • Ludger Widmaier SSCC Weitere Mitarbeitende dieser Ausgabe: Friedhelm Geller SSCC, Werne • Peter Egenolf SSCC, Lahnstein • Gerd Nieten SSCC, Koblenz Verlag: Meinhardt, Magdeburgstraße 11, 65510 Idstein, Tel.: 0 61 26  9 53 63-0, Fax: 0 61 26  9 53 63-11, E-Mail: info@meinhardt.info, Internet: www.meinhardt.info Erscheinungsort: Lahnstein Auflage: 5.750 Exemplare, gedruckt auf 100 % Recyclingpapier Titel: © Kondoros Éva Katalin Bildnachweise: bei den Abbildungen; Bilder ohne Nachweis: Archive der Ordensgemeinschaft und der Firma Meinhardt. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung von Herausgeber und Redaktion wieder. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Fotos kann keine Haftung übernommen werden. Spenden … … mit denen Sie unsere Arbeit in Deutschland und weltweit fördern, sind uns willkommen. Sie können mit einem Förderbeitrag die Herausgabe der Zeitschrift unterstützen: Bitte überweisen Sie unter Angabe des Verwendungs­zweckes »Apostel« auf das Konto Arnsteiner Patres e. V.: Kontonummer 656 120 010 bei der Nassauischen Sparkasse Lahnstein (BLZ 510 500 15) 3/2012 apostel 19 »Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen.« Der Evangelist Matthäus beschreibt das Wirken Jesu mit diesem Zitat des Propheten Jesaja. Er erlebt Jesus als einen, der die Schwachen und Gefährdeten wahrnimmt, sich ihnen zuwendet und ihnen hilft zu leben. Für mich beschreibt dieser Satz, was Kirche sein soll. Er hat mich immer fasziniert. Pater Heinz Josef Catrein SSCC, Lahnstein Einer von 800 Brüdern der weltweiten Familie sscc Unsere Niederlassungen in Deutschland Arnsteiner Patres Bohlweg 46 ■ 48147 Münster Tel.: 02 51 48 25 33 ■ Fax: 02 51 4 82 53 59 E­Mail: Muenster@sscc.de Arnsteiner Patres Horststraße 35 ■ 56651 Niederzissen Tel.: 0 26 36 61 66 ■ Fax: 0 26 36 60 60 E­Mail: kirchengemeinde­niederzissen@t­online.de Arnsteiner Patres Jesuitenplatz 4 ■ 56068 Koblenz Tel.: 02 61 9 12 63­0 ■ Fax: 02 61 9 12 63­14 E­Mail: Koblenz@sscc.de Arnsteiner Patres Kardinal­von­Galen­Straße 3 ■ 59368 Werne Tel.: 0 23 89 97 00 ■ Fax: 0 23 89 97 01 11 E­Mail: Werne@sscc.de Arnsteiner Patres, Provinzialat Johannesstraße 36 A ■ 56112 Lahnstein Tel.: 0 26 21 9 68 80 ■ Fax: 0 26 21 96 88 30 E­Mail: Provinzialat@sscc.de Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Immenstädter Straße 50 ■ 87435 Kempten Tel.: 08 31 5 12 36 80 ■ Fax: 08 31 51 23 68 19 Kloster Arnstein 56379 Obernhof/Lahn Tel.: 0 26 04 9 70 40 ■ Fax: 0 26 04 16 06 E­Mail: KlosterArnstein@sscc.de Niederlassung der Deutschen Provinz in Belgien: Pères des Sacrés Coeurs Rue de Marchienne, 12 ■ B­6000 Charleroi Tel.: 00 32 71 32 39 97 ■ Fax: 00 32 71 32 81 78 www.arnsteiner-patres.de