»Einander verstehen – miteinander leben«
40 Jahre »Treff 81«
„Lange haben wir hin und her überlegt, ob wir die Feier nicht verschieben müssen“, erzählen Ute Wagner und Pater Wolfgang Jungheim SSCC vom „Treff 81“ in Lahnstein. In einem Videogespräch mit dem „Apostel“ schauen sie auf das Jubiläumsjahr des Treffs zurück. „Und wir haben uns dann entschieden: Wir machen jetzt was!“ Im November vergangenen Jahres ließ es die Corona-Situation zu, mit rund 70 Personen im Niederlahnsteiner Gemeindehaus zu feiern. „Es war wie eine Geburtstagsfeier, bei der alle viel Spaß hatten und die Stimmung richtig toll war.“
1981 war nicht nur das Jahr, in dem erstmals „Wetten, dass …“ und „Dallas“ über die deutschen Fernsehschirme flimmerten, es war nicht nur das Jahr des Attentats auf Papst Johannes Paul II. und der Hochzeit von Prinz Charles und Lady Diana, es war auch das „Internationale Jahr der Behinderten“. So hatten es die Vereinten Nationen ausgerufen. In Westdeutschland wurde es unter das Motto gestellt: „Einander verstehen – miteinander leben!“
Eine Pfadfinder-Gruppe aus der Gemeinde St. Martin in Oberlahnstein hatte aus Anlass des UN-Themenjahres zusammen mit Kaplan Alfred Much Menschen mit und ohne Behinderung zu einem Nachmittag ins Pfarrzentrum eingeladen. Dort wurde bei Kaffee und Kuchen der „Treff 81“ gegründet und beschlossen, sich regelmäßig zu treffen – zunächst monatlich. Doch bald schon fanden die Begegnungen alle 14 Tage statt. Es ging den Initiator:innen darum, Menschen mit Behinderung, die schnell liebevoll „Treffis“ genannt wurden, in die Gemeinde einzuladen und ihnen jenseits des Alltags in den Werkstätten und in ihren Familien ein Angebot für die Freizeit zu machen.
„Mehr oder weniger behinderte Menschen“
Gleich zu Beginn hatte es sich eingebürgert, nicht von „gesunden“ und „behinderten“ Menschen zu sprechen, sondern von „mehr oder weniger behinderten Menschen“. Das Gemeinsame wurde betont. Dahinter steht die Überzeugung, die Ute Wagner mit einem Augenzwinkern in die Worte fasst: „So ganz ‚normal‘ ist ja keiner von uns.“ Oder wie es in einem Lied von Kurt Mikula heißt: „Jeder hat irgendwo ein Handicap, der eine trägt’s offen, der andere versteckt …“
Aus den Anfängen am 2. Mai 1981 im Pfarrzentrum am Europaplatz in Lahnstein ist über all die Jahre etwas Großes gewachsen. Es blieb nicht nur bei den regelmäßigen Freitagstreffen, bald rankte sich darum ein Jahresprogramm, zu dem die gemeinsame Feier des Karnevals ebenso gehört wie eine einwöchige Freizeit im Spätsommer oder Ausflüge verschiedenster Art. Darum war es für alle ein Segen, dass am Ende des Jubiläumsjahres, Corona zum Trotz, der runde Geburtstag doch noch gefeiert und gemeinsam auf vier tolle Jahrzehnte zurückgeblickt werden konnte.
Zunächst wurde Mitte November im Gemeindehaus in Niederlahnstein gefeiert. Die „Treffis“ und deren Eltern waren zusammen mit vielen Betreuerinnen und Betreuern eingeladen. „Vierzig Blätter mit den Ereignissen jedes Jahres hatten wir im Vorfeld zusammengestellt“, erzählt Pater Wolfgang. „Dazu gab es unzählige Bilder zu sehen, die uns animiert haben, ins Gespräch zu kommen und die gemeinsamen Erinnerungen lebendig werden zu lassen.“
Einen besonderen Platz nehmen die vielen Erlebnisse ein, die die Mitglieder des Treffs im Zusammenhang mit der europäischen Jugendpastoral der Ordensgemeinschaft in den 1990er und frühen 2000er Jahren machen konnten: das internationale Jugendtreffen in Werne, verschiedene Workcamps und die Begegnung mit Jugendlichen und später auch mit einer Gruppe junger Menschen mit Behinderung aus Spanien. „Wir dachten, das kann ja allein wegen der Sprache kaum funktionieren“, erinnert sich Pater Wolfgang, „aber es ging sehr gut. Legendär ist die Szene, wie Lothar mit der Spanierin Kristina Flamenco tanzt. Davon erzählen die Treffis noch heute.“
Viele der Eltern hätten sich bei der Geburtstagsfeier bedankt für all das, was der Treff 81 ihren Kindern ermöglicht hat, sagt Ute Wagner und fügt hinzu. „Aber auch uns, Betreuerinnen und Betreuern, hat dieses Fest gutgetan.“
Eine Woche später, am 21. November vergangenen Jahres, feierte der Treff seinen runden Geburtstag im Sonntagsgottesdienst der Gemeinde St. Martin in Oberlahnstein. Dazu waren auch viele Gründungsmitglieder gekommen. Gottesdienst zu feiern und sich mit religiösen Themen auseinanderzusetzen, gehört zu den Traditionen des „Treffs 81“; nicht zuletzt dank Pater Wolfgang, der so etwas wie ein inoffizieller geistlicher Begleiter der Gruppe ist. Die Verbindung zu ihrer „Heimatgemeinde“ St. Martin ist in all den Jahren nie abgerissen. Über die regelmäßigen Einladungen zu Pfarrfesten und Karnevalsveranstaltungen haben sich die „Treffis“ immer sehr gefreut.
Hausbesuche und Karnevalstüten
Corona war für die Gruppe ein tiefer Einschnitt, berichten die beiden Verantwortlichen. Die Einschränkungen der Begegnungsmöglichkeiten, die die Pandemie mit sich gebracht hat, wirkten sich natürlich insbesondere für eine Gruppe wie den Treff, der von der Begegnung lebt, besonders drastisch aus. „Sehr belastend war die Situation im Frühjahr 2020, als praktisch von heute auf morgen so gut wie gar nichts mehr ging“, erinnert sich Ute Wagner. Die „Treffis“ waren zu Hause, die Werkstätten geschlossen. Um wenigstens den geliebten Karneval nicht ganz verstreichen zu lassen, sind Ute Wagner und Wolfgang Jungheim verkleidet losgezogen und haben „Hausbesuche“ – auf Abstand natürlich – gemacht und Karnevalstüten verteilt. Von machen Häusern seien sie kaum mehr weggekommen, berichten beide, so groß war der Bedarf danach, sich zu sehen und zu erzählen.
Neben dem Karneval und dem gemeinsamen Besuch von Fußballspielen gehört das „Miteinander-Essengehen“ zu den Leidenschaften der „Treffis“. Auch dies war durch Corona in den letzten beiden Jahren kaum möglich. Umso schöner war es, dass das Restaurant Rosenacker im letzten Jahr am Ruhetag nur für sie geöffnet hat und die Weihnachtsfeier dort stattfinden konnte. „Das war schon ein großes Entgegenkommen“, stellt Pater Wolfgang dankbar fest. „Überhaupt haben wir viel und gute Unterstützung in unserem Umfeld“, ergänzt Ute Wagner. Spenden kommen von Privatpersonen, Vereinen und Firmen. Ohne diese Zuwendungen ließen sich die vielen Aktivitäten des Treffs gar nicht durchführen.
„Wir sind miteinander alt geworden“, resümieren die beiden Verantwortlichen am Ende des Gesprächs. Allerdings stoßen bei den „Treffis“ auch immer wieder jüngere Leute hinzu. Inzwischen kommen auch nicht mehr alle aus Lahnstein. „Für den Kreis der Betreuerinnen und Betreuer würden wir uns auch den einen oder anderen Zuwachs wünschen.“
Ein gemeinsamer „Alterssitz“
Aber die größere Sorge gilt denjenigen „Treffis“, deren Eltern inzwischen so alt geworden sind, dass sie ihre Kinder nicht mehr zu Hause versorgen können. Die bange Frage ist, wie es weitergehen kann, wenn sie nicht mehr zu Hause wohnen können. Damit sie sich nicht in alle Winde zerstreuen müssen, wird schon seit längerer Zeit über ein Haus in Lahnstein nachgedacht, in dem sie zusammen leben können. Bisher gab es kaum eine konkrete Perspektive. Jetzt, so berichtet Wolfgang Jungheim, gebe es in Lahnstein ein Grundstück, das dafür vorgesehen sei. Auch wenn es sicher noch dauern werde, bis dort ein Haus stehe, sei jetzt ein Anfang gemacht.
Denn ans Aufhören denkt nach vierzig Jahren in der Gruppe von behinderten und weniger behinderten Menschen der Pfarrei St. Martin niemand. Das Programm für dieses Jahr ist natürlich schon angelaufen. Der Besuch des coronabedingt in den Sommer verschobenen „8 x 11-Jubiläums-Karneval-Umzugs des CCO“ gehört ebenso dazu wie die einwöchige Freizeit im Herbst und das jährliche Gedenken an die verstorbenen „Treffis“ und Eltern mit anschließendem „Debbedotzessen“ im November.
Peter Wegener
Der Beitrag ist in der Ausgabe 1/2022 unserer Ordenszeitschrift »Apostel« erschienen.