Alles Geschwister

Fromme Illusion oder reale Perspektive?

Der 4. Februar ist der Welttag der Geschwisterlichkeit. Diesen hatten die Vereinten Nationen als Reaktion auf die Bemühungen des Papstes um einen interreligiösen Dialog und weltweite Geschwisterlichkeit ausgerufen. Die Winter-Ausgabe unserer Zeitschrift gibt Anreize, sich mit diesem wichtigen Thema zu beschäftigen.

Eine gute Nachricht ist scheinbar eine schlechte Nachricht. Wir kennen dies alle: Krieg, Gewalt, Katastrophen, Skandale bestimmen die Schlagzeilen und das möglichst in kürzester Abfolge. »Wenn jemand von uns beispielsweise eine politische Entscheidung oder einen Gesetzesentwurf der Regierung positiv beurteilt, dann gilt dies in der Redaktion häufig als unprofessionell. Unser Job sei es vor allem, das Haar in der Suppe zu finden«, erzählte mir eine befreundete Journalistin.

Nun, weder sie noch ich plädieren dafür, vornehmlich positiv zu berichten. Das wäre Hofberichterstattung und kein seriöser Journalismus. Der sollte sich allerdings dadurch auszeichnen, dass versucht wird, die Tatsachen korrekt darzustellen und den Zuschauenden, Lesenden oder Hörenden Verständniszugänge zu eröffnen. Was dies mit der Enzyklika »Fratelli tutti« von Papst Franziskus zu tun hat, werden Sie sich vielleicht fragen? Ich denke, eine ganze Menge.

Als Papst Franziskus nach der ersten Welle der Covid-19-Pandemie im Herbst 2020 die Enzyklika über die weltweite Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft veröffentlichte, lauteten viele schnelle Reaktionen in den Medien: naive, fromme Illusion, zu lang und ausschweifend, wirklichkeitsfremd, … Sicher, es kann so einiges an diesem Text kritisiert werden, doch treffen die genannten Einschätzungen den Kern seiner Botschaft? Trifft eine Kritik, die bemängelt, dass dieser Papst die herrschenden – aber keineswegs gottgewollten – wirtschaftlichen und politischen Machtverhältnisse und ihre Folgen besonders für die Armen und Ausgegrenzten nicht einfach als unveränderbar hinnimmt? Dass er eine neue, solidarische Weltgesellschaft anstrebt und die Frage aufwirft, in welcher Gesellschaft und Welt wir in Zukunft leben wollen, in der die jedem Menschen von Gott gegebene gleiche Würde und gleiche Rechte für ein gutes Leben garantiert werden?

Die Hoffnung aufrechtzuerhalten, dass dies gelingen kann, ist eine der vornehmsten Aufgaben des Oberhauptes der katholischen Kirche. Letzthin versucht er, die frohe Botschaft Jesu Christi in Erinnerung zu rufen. Und ganz zentral ist in dem Zusammenhang der Hinweis, dass jede und jeder mit den je eigenen Möglichkeiten daran mitwirken kann, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Denn Papst Franziskus ruft nicht nur zentrale Botschaften des Christentums in Erinnerung. Er zeigt auch auf, dass diese Haltungen und Handlungsaufforderungen einen wichtigen Beitrag zur Lösung der aktuellen Menschheitsprobleme bieten. Bei rationaler Betrachtung ist es eigentlich offensichtlich, dass die aktuellen, existenziellen Menschheitsprobleme wie die rasant fortschreitende Klimaerhitzung, das massive Artensterben, die fürchterlichen Kriege in verschiedensten Weltgegenden, die wieder wachsenden Hungerkrisen, die drohenden weiteren Pandemien, die wachsende Kluft zwischen extrem Reichen und extrem Armen und von gesellschaftlicher Teilhabe Ausgegrenzten, nur gemeinsam und solidarisch gelöst werden können. Und die Erkenntnis, dass dies nur auf dem Weg eines gleichberechtigten Dialogs auf Augenhöhe und in gemeinsamer Verantwortung für alle auf unserem Globus erreichbar sein kann, ist kaum zu bezweifeln – so schwierig das manchmal zu sein scheint.

Vor diesem Hintergrund erscheint der dringende Appell des Papstes, eine Haltung weltweiter Geschwisterlichkeit einzuüben und konkret damit zu beginnen, als ein sehr rationaler Hinweis darauf, was wirklich wichtig ist. Vielleicht denken wir daran – nicht nur am 4. Februar, dem Welttag der Geschwisterlichkeit. …