Arnsteiner bleiben Arnsteiner

Nach 100 Jahren verlassen wir, die Arnsteiner Patres, das Kloster Arnstein. Aus vielen Gründen haben wir im Frühjahr 2015 die Entscheidung getroffen und mitgeteilt, die Niederlassung zum 31. Dezember 2018 aufzugeben. Zum einen fehlen jüngere Mitbrüder, die in Zukunft die verantwortungsvollen Aufgaben in der Jugendbegegnungsstätte und in der Wallfahrtskirche übernehmen können. Außerdem wird die Kirche wegen Sanierungs- und Renovierungsarbeiten mehrere Jahre nur sehr eingeschränkt genutzt werden können. In einer Zeit, in der viele Pfarreien und Gemeinschaften Einrichtungen aufgeben und sich von liebgewonnenen Gebäuden trennen müssen, wollen wir durch unsere Entscheidung auch eine Botschaft senden: Wenn wir auch Gemäuer aufgeben, leben wir doch weiter aus demselben Geist. „Arnsteiner bleiben Arnsteiner.“ Unsere Hoffnung ist nicht auf Stein und auch nicht aus Steinen gebaut. Im Frühjahr 2018 sind wir mehrere Tage der Frage nachgegangen, welche Hoffnung uns trägt und welche Hoffnung wir bezeugen sollen.

Der Herr selbst ist der Grund unserer Freude

Wenn Menschen ins Gesprächen kommen und vom Zustand unserer Gesellschaft und der Kirche die Rede ist, macht sich nicht selten ein Gefühl von Mutlosigkeit breit. Vieles hat sich in den letzten Jahrzehnten anders entwickelt als gedacht. Die eigenen Kräfte schwinden. Die weitere Entwicklung ist absehbar, sich dagegen zu stemmen hat keinen Sinn, eine Veränderung zum Guten oder gar Neues ist nicht in Sicht. Wer jetzt noch Hoffnung verbreitet, muss ein Narr sein … 

Auch die Arnsteiner Patres sind dadurch herausgefordert, dass das, was die Gemeinschaft und die einzelnen Brüder gedacht, geglaubt oder gewünscht haben, sich nicht eingestellt hat und die persönlichen und gemeinschaftlichen Möglichkeiten in den letzten vier Jahrzehnten geringer geworden sind. So ist die Zahl der Mitbrüder von 170 im Jahr 1977 auf 42 im Jahr 2017 gesunken. Der Altersdurchschnitt hat sich um etwa 20 Jahre erhöht. Die Ordensgemeinschaft hatte früher zwei große Schulen, an denen viele Brüder unterrichteten. Heute existieren keine eigenen Werke mehr. In der Seelsorge in Pfarreien, in Krankenhäusern und Altenheimen sind nur noch wenige Brüder tätig. Eingebettet ist diese Entwicklung in eine Situation, in der die Kirche in Deutschland ebenfalls an Kraft und Wirkmächtigkeit verliert. Diese Realität deutlich vor Augen haben die Brüder beim letzten Provinzkapitel gemeinsam über die Zukunft ihrer Gemeinschaft beraten. Die dabei diskutierten Gedanken finden sich in dem Grundlagenpapier »Unsere Hoffnung«, das auch für Menschen außerhalb der Ordensgemeinschaft Impulse für Auseinandersetzung mit der Frage bietet, aus welcher Hoffnung wir leben. Wir dokumentieren es hier in Auszügen:

Insgesamt scheint man in unserer Gesellschaft mehr und mehr besorgt, dass es nicht so gut weitergeht wie bisher. Sind das nicht Gründe hoffnungslos zu werden? Was bedeutet es, dass wir trotzdem dem Aufruf im 1. Petrusbrief folgen, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die uns erfüllt?

Hoffen bedeutet mehr als sich etwas wünschen. Hoffen geht auch über das hinaus, was wir uns ausdenken und ahnen können. Im Französischen unterscheiden wir zwischen »Espoir« und »Espérance«; zwischen »Ich wünsche mir etwas, was ich schon mehr oder weniger kenne« (Espoir) und »Ich lebe aus der Haltung, dass es etwas Gutes geben wird, das ich weder in Worten noch in Bildern beschreiben kann« (Espérance). 

Wo wir nur erhoffen, was wir uns aufgrund unserer Möglichkeiten und Fähigkeiten, aufgrund unseres materiellen Reichtums und unserer Ideen, aufgrund unseres Könnens und unseres Enga-ge-ments leisten können, bleiben wir im Rahmen des Wünschens. Dann riskieren wir, sobald wir uns ohnmächtig fühlen oder an unsere Grenzen kommen, zu resignieren. Dann sind Zukunftsangst und Selbstzweifel, die wohl zu jedem menschlichen Leben dazugehören, nicht nur phasenweise spürbar. Sie machen sich vielmehr breit und beherrschen unser Fühlen und Denken, unser Reden, unser Tun und unser Unterlassen. 

Dann fordern wir angesichts der zu großen Wünsche und der eigenen Grenzen von den anderen mehr, als sie geben können. 

Die Chance, die im Älter- und Schwächerwerden steckt, ist die Freiheit, zu der wir berufen sind. Solange wir auf die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten zurückgreifen (können), ist die Gefahr groß, unser Ego (das individuelle und das kollektive) in den Mittelpunkt zu stellen. Wir vergessen nur allzu leicht, dass Gott das Wollen und Vollbringen bewirkt (Phil 2, 13). Wenn wir unserer Stärken beraubt werden, können wir mit dem Propheten Habakuk (Hab 3, 17–19) sagen: »Der Feigenbaum blüht nicht, die Ölbäume tragen keine Oliven. Im Pferch sind keine Schafe, und im Stall steht kein Rind mehr. Der Herr selbst ist der Grund unserer Freude.«

Der Apostel Paulus bezeugt, dass er angesichts der schwindenden persönlichen, gemeinschaftlichen oder auch kirchlichen Kräfte in dieser Welt nicht vorrangig seine Hoffnung auf sich, sondern auf Gott setzt, der von den Toten auferweckt. Er wird auch in Zukunft retten (2 Kor 1, 1–12). 

Es geht also darum, den Weg der Verarmung und Entäußerung als einen Prozess der Reinigung, der Befreiung und Reifung zu verstehen und zu erleben: »Der Herr selbst ist der Grund unserer Freude.« Das bedeutet: Unsere Hoffnung gründet in ihm und ist nicht die Projektion unserer Wünsche. War es nicht genau diese Hoffnung, die den heiligen Damian De Veuster im Elend der anderen und in der eigenen Todesstunde bezeugen ließ, er sei der glücklichste Missionar der Welt?

Die historischen und gesellschaftlichen Umstände, die wir als Einzelne, als Ordensgemeinschaft, als Kirche und als Gesellschaft insgesamt erleben und die uns schmerzen und verunsichern, sind die Einladung Gottes, in die Freiheit der Kinder Gottes hineinzuwachsen. Es geht um den schieren Glauben ohne das »fromme Gesumse« (so der Theologe Karl Rahner) anderer Zeiten, ohne unsere Bilder und Vermittlungen. Es geht um Gott allein, um seiner selbst willen. Er ist der Grund unserer Hoffnung, er ist der Inhalt unserer Freude. 

Nehmen wir ernst, was wir in der sogenannten Anamnese während der Eucharistiefeier beten: »Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.« So dürfen wir mit der Distanz zu uns selbst, die aus dieser Hoffnung erwächst, bekennen: Wir durften noch nie so glücklich sein wie heute. Denn wir waren noch nie so nahe an diesem Glück wie heute.

So weit der Auszug aus dem das Dokument des Provinzkapitels, das den Titel trägt »Der Herr selbst ist der Grund unserer Freude«.