Bericht aus Chile

Sergio Silva SSCC

Wie geht es den Armen in der Pandemie und was wünschen sie sich für ihre Zukunft?

Um diese Frage zu beantworten beziehe ich mich auf die wenigen eigenen Erlebnisse, auf die Medien und die inoffiziellen Gespräche.

Es gibt unterschiedliche Arten von Armut. Ich beziehe mich hier nur auf die, die besonders stark von der Pandemie betroffen sind.
Menschen die keinen festen Arbeitsplatz haben und jeden Tag aufs neue versuchen zu überleben, wie zum Beispiel die Straßenverkäufer - unter denen viele Einwanderer sind - leben unter unmenschlichen Bedingungen und können jetzt durch die Kontaktbeschränkungen kaum noch etwas verkaufen.

Andere verlieren ihr Jobs, da die Geschäfte schließen müssen, gerade in Bereichen der Gastronomie und dem Tourismus, oder dem Transport- und Dienstleistungssektor, Aufgrund der geringen Nachfrage erhalten sie nicht mehr genug Aufträge.

Viele die versucht haben der Armut zu entkommen und zur ersten Generation ihrer Familien gehören, die durch ein abgeschlossenes Studium eine größere Chance auf einen guten Job habe, befürchten diesen Vorteil wieder zu verlieren und zurückzufallen.

Es hört sich nach einer Floskel an, aber leider trifft es zu, dass diejenigen, die am meisten unter der aktuellen Situation leiden, die Armen sind. Durch die Ausgangssperre und das Kontaktverbot müssen sie in ihren kleinen Wohnungen bleiben, oft ohne „ein Fenster zur Welt“, die Internetverbindung (im Internetcafé) nutzen zu können, sie sind gezwungen die Programme des öffentlichen Fernsehens zu schauen, die kaum über ein anderes Thema als die Pandemie berichten. Kinder im schulfähigen alter müssen in ihren Häusern bleiben, was die Last auf die Eltern erhöht und häufig zu häuslicher Gewalt führt. Sollten sie krank werden, erwartet sie ein öffentliches Gesundheitssystem, dass kurz vor dem Zusammenbruch steht. 

Auf jeden Fall leiden sie, vielleicht noch mehr als andere, an der Ungewissheit, die eine Krankheit, für die es Keine Medikamente und keinen Impfstoff gibt, mit sich bringt. Auch deren Verbreitungswege nicht vollständig bekannt sind; die größte Unsicherheit ist aber, nicht zu wissen, ob der Arbeitsplatz bestehen bleibt oder verloren geht, ob es dasselbe Gehalt gibt, oder ob es gekürzt wird, ob es zur Schule zurückgeht oder nicht.

Was wünschen sich die Armen für die Zukunft? Die Antwort, die ich darauf habe ist noch subjektiver als die vorherige. Ich denke, die große Mehrheit in Chile wünscht sich nur, dass das Land die wirtschaftlichen Wachstumsraten wieder erreicht, die wir zwischen 1985 und 2010 hatten, und die das Gesicht unserer Gesellschaft unzweifelhaft verändert haben, weil sie eine schwache Mittelschicht auf mehr als 50% der Bevölkerung hat anwachsen lassen; für die Mehrheit scheint das Ideal eine Gesellschaft von wachsender Produktion und Konsum zu sein, koste es, was es wolle.

Aber es gibt auch kleine Gruppen, die sich eine andere Zukunft erträumen, nicht alle sind positiv. Unter den jungen Menschen, die eine Abgeschlossene Ausbildung und manchmal sogar ein Studium haben, glaube ich andere Vorstellungen der Zukunft zu erkennen. Einige Jugendliche haben viel Gewalt und Frustration erlitten, sie haben in der anarchischen Gewalt einen Weg gefunden, ihre aufgestaute Wut zu äußern; vielleicht denken sie auch, dass man zuerst diese Welt zerstören muss, bevor man eine neue bessere aufbauen kann. Andere wünschen sich Veränderungen im Bereich des gesellschaftlichen Lebens, z.B. die Ökologie, der Feminismus, die Achtung vor den Minderheiten (ethisch, sexuell, religiös usw.); aber ich kann in ihnen keinen einigermaßen deutlichen Traum einer zukünftigen Gesellschaft als Ganzes erkennen.

Die Frohe Botschaft Jesu bietet uns auch kein Bild einer Gesellschaft an. Aber sie weist uns Richtungen, damit wir in jeder Schleife unserer Geschichte das Mögliche tun, um das Schicksal der Armen zu verbessern und gegen die vielen Ungerechtigkeiten zu kämpfen, die sie niederdrücken. So wie die Frauengruppen in den Basisgemeinden der Pfarrei “Jesús Resucitado” in  Renata Alto in Viña del Mar, die in diesen Tagen Essensausgaben für Obdachlose (in einer Basisgemeinde von Montag bis Freitag), oder für die wenigen die durch die Folgen der Pandemie bedürftig sind (in drei Basisgemeinden, an den Samstagen); es sind Arme, die den noch Ärmeren helfen, indem sie weitergeben was sie haben: ihre Fähigkeit zur Arbeit im solidarischen Dienst an den Nächsten.