60800 Apostel Zeitschrift der Arnsteiner Patres inhalt Ausgabe 1/2012 Die Kunst der Entschleunigung Vom Besuch der Ausstellung in Wolfsburg Weitere Themen: Mit Kindern über Gott reden Kreuzwege Mit dem »Geistlichen Wegbegleiter« ins Frühjahr Arnsteiner Wallfahrt 2012 Inhalt Mit Kindern über Gott reden 4 Titelthema Entschleunigung 6 Geistlicher Wegbegleiter 9 Symbole der Kirche 15 Familie SSCC 17 Nachrichten 18 »Sagt den Verzagten: Habt Mut!« (Jes 35,4) Dieses Wort des Propheten Jesaja ruft uns als Pilgergemeinde dazu auf, Zuversicht zu verbreiten. Es erinnert uns an unsere Sendung in Kirche und Gesellschaft, die Menschen anzusprechen, denen es schwerfällt, sich mit den Fröhlichen zu freuen, die nur mit Wehmut auf bessere Tage zurückschauen. Die Worte des Propheten Jesaja sind in Zeiten der Dunkelheit entstanden, in Kriegszeiten. Die Menschen fürchteten um ihr Leben, ihre Heimat, ihre Lebensgrundlage. Im Umfeld dieses Jesaja-Wortes ist von der Wüste, der Einöde und der Steppe die Rede, von lebensfeindlichen Plätzen. Doch die Botschaft des Propheten lautet: Das soll anders werden! Die Wüste soll wieder leben und aufblühen wie das Paradies. Es ist der Aufruf für einen großen seelsorgerischen Auftrag an alle, die glauben und auf Gott vertrauen: »Macht die erschlafften Hände wieder stark und die wankenden Knie wieder fest! Sagt den Verzagten: Habt Mut, fürchtet euch nicht! Seht, hier ist euer Gott!« Auch in Deutschland sind heute viele Menschen – auch Christen – verzagt. Die Finanzkrise und die scheinbar unkontrollierte Macht anonymer »Märkte« lassen sie um ihre wirtschaftliche Sicherheit fürchten. Und auch der Glaube und die Kirche scheinen in der Krise. Die Zukunft wird von vielen nicht hoffnungsvoll gestaltet, sondern angstvoll erwartet. Jesaja dagegen beschreibt die Verwandlung all der Nöte unserer Welt hin zum Guten. Er verheißt und verspricht, dass Gott helfen wird. Unsere Wallfahrt will diese Verheißung in unserem Bewusstsein verankern, damit wir gestärkt werden und mit Zuversicht den Verzagten davon erzählen. Wie zur Zeit des Jesaja werden wir es allen sagen: »Gott wird euch retten.« In diesem Jahr beginnen wir unsere Wallfahrtszeit am 10. Mai, dem Gedenktag des heiligen Damian De Veuster. Ungebrochen bis zum Tod hat er seine Zuversicht behalten und den ihm Anvertrauten Hoffnung und Mut gemacht. Aus diesem Anlass feiern wir mit unserem Diözesanbischof Franz-Peter Tebartz-van Elst am 10. Mai um 15.30 Uhr ein feierliches Pontifikalamt, zu dem wir herzlich einladen. p. bernhard bornefeld sscc 10. Mai – Pater Damian Am 10. Mai des Jahres 1873 betrat P. Damian De Veuster zum ersten Mal die Aussätzigeninsel Molokai. Sicher hatte er eine gewisse Vorstellung von dem, was ihn erwartete. Doch war er sich der Tragweite seines Entschlusses voll bewusst? Erst vor Ort erlebte er, wie brutal die Krankheit Leib und Seele der Einheimischen zerstörte, und am eigenen Leib sollte er erfahren, was es heißt, »eine noch schrecklichere Krankheit als die Schwindsucht« in seinem eigenen Körper zu tragen. Er hätte wohl gelacht, wenn man ihm gesagt hätte, dass er einmal heiliggesprochen würde. Damian verzichtete auf jedwede Kosten-NutzenAnalyse. Er wagte den Schritt auf die Insel Molokai, denn es bewegte ihn die Botschaft des Evangeliums: »Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.« Er wagte den Schritt ins Unbekannte und zog sich nicht zurück, als es schwierig wurde – auch nicht, 2 apostel 1/2012 als die Krankheit ihn angriff. Die Nachwelt nennt ihn »Held der Nächstenliebe«. Aber das wirkt klischeehaft. Er ist der aufmerksame Beobachter, der verborgene Not wahrnimmt; er ist der Mann schneller Entscheidungen; er ist der ausdauernde Kämpfer und der Beter, der mit Christus so tief verbunden ist, dass er auf Molokai aushält. Das Fest des heiligen P. Damian ist mehr als ein historischer Gedenktag, es ist immer ein geistlicher Anstoß. In allen unseren Häusern wird der Gottesdienst an diesem Tage eine besondere Prägung haben, insbesondere in Kloster Arnstein, wo an diesem Tag feierlich die Wallfahrtssaison 2012 eröffnet wird. Sie sind herzlich willkommen. Messtexte, Gebete, Bilder und weitere Materialien finden sich bei www.arnsteiner-patres.de > »Lebenswege« Ausgebremst? Wallfahrtstermine Vom 10. Mai bis Ende September finden jeweils am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag (außer Christi Himmelfahrt und Fronleichnam) Wallfahrten statt. Zu großen Wallfahrtssonntagen laden wir zudem am 3., 10., 17. und 25. Juni 2012 ein. Wenn Sie an der Pilgerverpflegung teilnehmen möchten oder in Wallfahrtsgruppen kommen, bitten wir um eine Anmeldung. Anmeldung und weitere Informationen: P. Bernhard Bornefeld SSCC, Kloster Arnstein, 56379 Obernhof/Lahn, Tel. 0 26 04 97 04 20, Fax: 0 26 04 97 04 26, bernhard.bornefeld@sscc.de, www.arnsteiner-patres.de Der Verkehrsfunk ist ein zentraler Teil der Rundfunknachrichten. Täglich sind Millionen von Menschen und Tausende von Tonnen Last unterwegs. Alles soll ankommen: schnell, sicher und am richtigen Ort. Wir wollen keine Zeit verlieren, kein Risiko eingehen und ohne Stress reisen. Alles soll laufen wie geschmiert – ein verständlicher Wunsch, der aber oft genug an seine Grenzen stößt: Die Verkehrswarnung kommt zu spät, die Umleitungsstrecken sind auch schon blockiert oder unser eigenes Fahrzeug bleibt stehen. Solche Erfahrungen können irritieren: Wir wollen doch rechtzeitig ans Ziel kommen, und irgendwie haben wir die Anspruchshaltung entwickelt, dass es auch so klappen muss, wie wir es uns vorgestellt haben – zumindest auf der Autobahn. Und meist funktioniert es ja auch. Doch was ist mit unseren anderen Zielen, unseren Lebenswünschen? Die meisten Menschen nennen eine gute Gesundheit, eine intakte Familie und soziale Sicherheit als ihre wichtigsten Ziele. Anderes kommt hinzu: Friede, Fortschritt, Heiterkeit, Weisheit und vieles mehr. Diese Ziele sind ungleich schwerer zu erreichen als ein Ort in Spanien oder der Türkei. Auf unseren Lebenswegen geht es oft zu wie auf unseren Autobahnen. Wir kommen nicht weiter. Entweder blockieren die »Unfälle« anderer den Weg, oder unser eigenes »Fahrzeug« lässt uns im Stich, und selbst die Möglichkeit des »Sichverfahrens« ist trotz »Navi« nicht restlos gebannt. Zum Reisen benötigt man Zeit, und man braucht Wege. Betrachtungen zur Zeit und Betrachtungen über Wege sind Themen dieses Heftes. Die kommende Fastenzeit legt uns dies nahe. Sie zeigt uns, wie Jesus seinen Weg ging. Sein Ziel war der Aufbau des Reiches Gottes. Seine Zeit hat er diesem Ziel gewidmet, sein Weg war geradlinig und am Ende ein Kreuzweg im wahrsten Sinne des Wortes. Zeit und Weg sind für uns ungeheuer wichtig, wenn wir von Punkt A nach Punkt B fahren, aber bei der Planung unseres Lebensweges werden Zeit und Weg häufig genug sträflich vernachlässigt. Ratlos stecken wir dann fest, wie im Stau auf der Autobahn. Das Evangelium können wir als eine Art göttlichen Verkehrsfunk auffassen: Es warnt vor Unfallstellen und gibt Ausweichempfehlungen. Ich wünsche Ihnen eine gute geistliche Reise. Ihr P. Heinz Josef Catrein SSCC 1/2012 apostel 3 mit kindern über gott reden Der Kreuzweg Jesu und die Kreuzwege der Men Mit Kindern die Fastenzeit gestalten Wege nachgehen Ein Heft aufschlagen und den Text beten, das ist für die meisten Kinder schwer verdauliche Kost. Viel anschaulicher ist es dagegen, den Kreuzweg gemeinsam zu gehen, auch wenn die Stationen nicht weit voneinander entfernt sind. Dabei sollte man auf feste Rituale achten, wie eine Kniebeuge vor jeder Station und ein sich immer wiederholendes Gebet: »Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.« Neben solchen festen Formen geht es um die inhaltliche Erschließung des Kreuzweges. Sie können die Kinder fragen, was die Bilder darstellen und ob sie das Leiden des Herrn an die Leiden bestimmter Menschen erinnert. Besonders eindrucksvoll ist es, den Kreuzweg abends mit Fackeln oder Teelichtern zu gehen. Im Freien entsteht so eine schöne Lichterkette. Bestimmt seid Ihr hin und wieder an Kreuzwegen vorbei gelaufen. Vielleicht habt Ihr sie nicht bemerkt, denn viele Menschen in unseren Gemeinden haben diese alte Andachtsform nicht mehr kennengelernt. Aber die Kreuzwegstationen sind als stille Mahner geblieben. Es sind oft große, anschauliche Bilder, die geradezu nach Aufmerksamkeit schreien. Es lohnt sich, Kreuzwege wiederzuentdecken. Stationen auswählen Viele Eltern kriegen erst mal einen Schreck, wenn sie das Gotteslob aufschlagen und acht »lange« Seiten zum Kreuzweg finden. Doch keine Angst. Es ist ohne Weiteres möglich, einen Kreuzweg für Kinder auf die Hälfte der Stationen zu begrenzen. Dabei ist eine bewusste Auswahl sinnvoll, die beispielsweise so aussehen kann: (1.) Jesus wird zum Tode verurteilt. (2.) Jesus nimmt das schwere Kreuz auf sich. (3.) Jesus begegnet seiner Mutter. (4.) Jesus fällt unter dem Kreuz. (5.) Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen. (6.) Jesus wird ans Kreuz genagelt. (7.) Jesus stirbt am Kreuz. Kreuzwege gestalten Für den Kreuzweg gilt, was auch sonst für Gottesdienste zu beachten ist: Kinder sollten nicht unvorbereitet an einer liturgischen Handlung teilnehmen. Da Kinder zumeist gerne malen, kann man sie ermuntern, die einzelnen Stationen zu malen oder die Kreuzwegbilder auszuschneiden und dazu einen Rahmen (mit Text) zu basteln. Man kann Kinder auch Zweige suchen lassen, um daraus einfache Holzkreuze anzufertigen. Auch der Gebrauch von Symbolen kann eindrucksvoll sein: ein Würfel (Urteil des Pilatus), ein Holzbalken (als Kreuzesbalken), ein Leinentuch mit den angedeuteten Konturen eines Gesichtes (Veronika), ein feuchtes Taschentuch (Tränen), ein zerrissenes T-Shirt, ein Hammer und drei Nägel, eine Kerze, die ausgeblasen wird (Tod Jesu), ein schwarzes Tuch (Begräbnis). Gute Erfahrungen habe ich auch mit einem Holzkreuz aus einfachen breiten Brettern gemacht, auf das die Kinder Zeitungsbilder kleben, die vom Leiden der Menschen berichten. Ein solches Kreuz kann man in der Fastenzeit im Rahmen des Abendgebets jeden Tag erweitern. von p. heinz josef catrein sscc 4 apostel 1/2012 schen Kreuzwege der Menschen erkennen Es scheint mir unerlässlich, Kinder immer wieder zu ermuntern, Parallelen zur Leidensgeschichte zu suchen. Bei der ersten Station kann man fragen, ob sie Leute kennen, die ungerecht verurteilt (beurteilt) werden; man kann fragen, welche Leute ein schweres Kreuz tragen; welche wie Simon von Cyrene anderer Menschen Lasten tragen; welche Verstorbenen sie kennen oder ob sie wissen, welche bekannten Menschen auf dem örtlichen Friedhof liegen. Orte entdecken Ein gut geplanter Spaziergang kann schnell zu einem Kreuzweg eigener Art werden. Nahezu jeder Ort hat Gebäude, Denkmäler oder schlichtweg auch Straßennamen, die vom Leiden der Menschen berichten. Schauen Sie nach historischen Gebäuden wie Hexentürmen und Burgverliesen (mit Folterkammern) oder alten Richtstätten. Suchen Sie nach Erinnerungen an die Schrecken der Kriegs- und Nazizeit. Mahnmale gibt es vielerorts, Gedenkplatten, die an ehemalige Synagogen erinnern, oder sogenannte »Stolpersteine«. Man kann auch an bestimmten Orten vorbeilaufen: Agentur für Arbeit, Lebensmittelausgabestellen der »Tafel«, Krankenoder Frauenhäuser zeigen die Nöte unserer Zeit. Auch ein Gang über Friedhöfe kann aufschlussreich sein. Üppige Grabmale stehen neben vergessenen und unkrautüberwucherten Gräbern. Es gibt Kriegsgräber, Kindergräber und vielerorts auch sogenannte »Sozialgräber«, schlichte Gräber für die, die von allen vergessen aus diesem Leben schieden. Mit solchen Anregungen lässt sich gut ein aktueller Kreuzweg gestalten. Horizonte erweitern Kinder sind offen für die Welt, und die großen Hilfswerke haben auch in diesem Jahr eigene Kreuzwege für Kinder herausgebracht. Misereor bietet einen Kreuzweg mit nur vier Stationen, aber mithilfe der verwendeten Symbole und Bilder repräsentiert dieser eindrucksvoll die gesamte Botschaft des klassischen Kreuzweges. Der Kreuzweg kann kostenlos mit anderem kindgemäßem Material bei Misereor bestellt werden. Missio Österreich stellt ein Kreuzwegpuzzle aus menschlichen Gesichtern und darüber hinaus einen ansprechenden Kinderkreuzweg aus Tüchern und Symbolen zur Verfügung. Materialien: Misereor: Kinderkreuzweg (Bestellnr.: 1 114 12); DVD zur Fastenaktion 2012 (Bestellnr.: 1 004 12) mit einem Bildordner »Kinderkreuzweg«. bestellung@eine-welt-shop.de Missio Österreich: pädagogisches Material zum Kinderkreuzweg, »Kreuzweg beten – Kreuzweg legen« und »Kreuzwegpuzzle«. www.missio.at/mediencenter/downloads.html Broschüren: »Mit Jesus auf dem Weg – ein Kreuzweg von Familien für Familien« mit guten Beispielen für kindgemäße Bilder (ISBN 978-3-935396-13-4) und »Der Kreuzweg« (Bestell-Nr. 334, www.sadifa.de). Bei beiden Kinderkreuzwegen ist es sinnvoll, die Texte selber dem jeweiligen Alter der Kinder anzupassen. 2/2011 1/2012 1/2011 apostel 5 titelthema foto: kerstin meinhardt • idstein titelthema Pater Manfred, Bruder Rodrigo, Beschleunigung galt lange als Kennzeichen der Moderne: »Immer schneller, immer höher, immer weiter« war gleichgesetzt mit »immer besser«. Dieser Fortschrittsglaube wird in einigen Werken von Künstlern deutlich, die wir in der Ausstellung sahen. Heute, im digitalen Zeitalter, haben viele Menschen das Gefühl, dass sich alles überstürzt und sie nicht mehr »hinterherkommen«. Sie befürchten, dass die Ereignisse durch die massive Beschleunigung in allen Lebens- und Arbeitsbereichen außer Kontrolle geraten, dass jedes natürliche und menschliche Maß ignoriert wird und dass etwas Wesentliches auf der Strecke bleibt. Können Sie das Unbehagen, das vielfach deutlich wird, nachvollziehen? Bruder Rodrigo: Auch in Mexiko wollen wir immer schneller werden, vor allem in den Großstädten. Es überwiegt bei den meisten Menschen noch der Glaube, dass wir schneller sein müssen, damit sich unser Leben verbessert. Immer seltener denken Menschen über sich und die Frage nach: »Was geschieht eigentlich mit meinem Leben?« Aber es gibt auch bei uns immer mehr Ärzte, die den Zusammenhang zwischen Stress und Krebs erkennen. Mexikanische Videokünstler haben sich gefragt: »Warum laufen alle und fragen sich nicht, weshalb sie das tun?« foto: zooey braun • stuttgart Im Eingangsbereich der Ausstellung 6 Wie gut, dass es Museen gibt: Sie sind Orte der Unter­ brechung, des Innehaltens, sie bieten Möglichkeiten, neue Sichtweisen zu gewinnen. Das Kunstmuseum Wolfsburg ist ein solcher Ort. Bis zum 9. April wird dort die Aus­stellung »Die Kunst der Ent­ schleunigung. Bewegung und Ruhe in der Kunst von Caspar David Friedrich bis Ai Weiwei« gezeigt. Nach dem gemeinsamen Besuch der Präsentation von rund 150 Werken sprach unsere Redakteurin Kerstin Meinhardt mit Pater Manfred Kollig SSCC und Bruder Rodrigo Alcántara Serrano SSCC über ihre Eindrücke. apostel 1/2012 Die Kunst der Pater Manfred: Untersuchungen deutscher Krankenkassen aus dem vergangenen Jahr belegen, dass die Zahl der Arbeitsausfälle aufgrund von Stress und Überforderung in den letzten zehn Jahren um 80 Prozent gestiegen ist. Jede zehnte Krankmeldung am Arbeitsplatz hat diesen Grund. Ich bin überzeugt, dass in Wirklichkeit die Zahl höher liegt, weil wir immer noch Kopfschmerzen und Herzprobleme als körperliche Krankheiten bezeichnen, obwohl sie oft ihre Ursachen in der Seele des Menschen haben. Immer weniger Menschen müssen immer mehr leisten; auch in Ordensgemeinschaften. Wir glauben, Zeit einsparen zu können durch schnellere Kommunikationsmittel. Ob die »Seele nachkommt«, wird nicht gefragt oder als Frage verdrängt. Wie könnte ich bei solchen Tatsachen kein Unbehagen haben? Bruder Rodrigo, Sie haben mir erzählt, dass Sie das Leben in Ihrer Heimatstadt Puebla, einer Zweimillionenstadt im Hochland Mexikos, und in Brasilien, wo Sie studiert haben, als viel unruhiger und hektischer erinnern, als das, was Sie hier in Deutsch- foto: kerstin meinhardt • idstein Der gebürtige Mexikaner Rodrigo Alcántara Serrano SSCC lebt und studiert in Münster. An der Westfälischen Wilhelmsuniversität wird er seinen Master in Theologie erwerben. Pater Manfred Kollig SSCC lebt und arbeitet in Münster. Er leitet die Hauptabteilung »Seelsorge« im Bischöflichen Generalvikariat Münster. Blick in die Ausstellung land erleben. Klagen die Menschen in Mexiko und Brasilien auch über Stress, Zeitdruck und Burn-out? Bruder Rodrigo: Ja, das ist ein alltägliches Problem. Überall bewegen sich alle ganz hektisch, laufen wie ein Hamster im Rad. In Wolfsburg werden fast ausschließlich Werke männlicher Künstler präsentiert. Hat Sie das gewundert? Bei Mexiko fällt mir natürlich wie den Die Ausstellungsmacher betonen, dass es durch die verschiedenen Epochen hindurch zeitgleich stets beides gab: die Faszination der entfesselten Bewegung und die Suche nach einer Ästhetik der Langsamkeit. Sie markieren das Jahr 1776 als Vorabend der Moderne, die ältesten Ausstellungsstücke sind aus dieser Zeit. 1776 war das Jahr, in dem die erste Watt'´sche Dampfmaschine in einer Fabrik installiert wurde und damit die Dynamik des Industrie- entschleunigung meisten Deutschen gleich Frida Kahlo ein. Gibt es gegenwärtig in Mexiko bekannte Künstlerinnen, die etwas zum Thema »Umgang mit Zeit« beitragen? Bruder Rodrigo: Es gibt verschiedene Künstler, Frauen und Männer. Es gibt viele Schriftstellerinnen, aber nur wenige bildende Künstlerinnen. Zu unserem Thema fällt mir ein: Im Herzen von MexikoStadt steht das Werk »Diálogo de Bancas« (Gespräch der Bänke) des mexikanischen Künstlers Ricardo Legorreta. Diese Bänke, die unterschiedlich gestaltet sind, laden mitten in der Hektik der Großstadt zum Anhalten und Ausruhen ein. Sie werden von vielen Menschen zum Gespräch genutzt. Und in Brasilien? Pater Manfred: In Brasilien hat die Künstlerin Lygia Clark in den 1960er Jahren Tiere aus Metall gefertigt und sie als Mobiles zusammengefügt. Man konnte die Tiere umhängen, aber nie planen, was geschieht. Diese Künstlerin stellt die Planbarkeit unseres Tuns infrage und erinnert an das Unberechenbare in unserem Leben. zeitalters begann. Aus der gleichen Zeit zitieren sie einen Ausspruch Goethes, der das »veloziferische« Übel beklagt, die teuflische Eile. Was hätte er wohl 235 Jahre später gesagt? Die digitale Revolution und die globale Vernetzung haben nochmals für einen gigantischen Beschleunigungsschub gesorgt. Was überwiegt aus Ihrer Sicht bei den zeitgenössischen Künstlern, die uns in Wolfsburg präsentiert werden, die Beschäftigung mit Bewegung oder mit Ruhe? Pater Manfred: Ich habe nicht nachgezählt, aber mein Eindruck ist, dass sich die Werke, die sich mit Ruhe oder mit Tempo auseinandersetzen, zahlenmäßig die Waage halten. Aber die Botschaft, unsere Geschwindigkeit kritisch zu hinterfragen oder sie sogar endlich zu drosseln, überwiegt. In Wolfsburg setzen Künstler ins Bild, was der Soziologe Hartmut Rosa immer wieder anmahnt: Die Grenzen der Beschleunigung sind überschritten, wenn Menschen mehr erleben, als sie verarbeiten können; wenn wir Rohstoffe schneller verbrauchen, als sie nachwachsen; wenn das Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung zerstört wird. 1/2012 apostel 7 Lehre uns, unsere Tage zu zählen, damit wir ein weises Herz gewinnen. Diese Bitte steht neben anderen Hinweisen im Psalm 90, den man fast einen »Zeitpsalm« nennen könnte. So listenreich hilft er dem Nachdenken über das, von dem wir alle so viel haben und doch so wenig, wenn wir zurückschauen. »Ein Jegliches hat seine Zeit«, heißt es im Buch des Predigers aus dem Alten Testament. Auch diese Beobachtung ist wohl noch immer gültig, aber schwer zu erfüllen. Heute scheint alles immer und überall möglich: Frische Erdbeeren zu Weihnachten; Ski fahren auf den künstlichen Schneepisten in der arabischen Wüste; eigenes Fernsehen mit selbst gewähltem Programm aus der Internet-»Wolke«. Von allen Seiten wird uns das Multitasking empfohlen: mehrere Aufgaben gleichzeitig ausführen. Wobei die Frauen besser sein sollen als die Männer. Telefonieren am Steuer ist nur eine von vielen Möglichkeiten. SMS-Schreiben allüberall. Die Zeit ist eine einfache und zugleich sehr komplizierte Sache. Wie unendlich lang ein einziger Tag im Krieg und wie kurz in froher Runde. Dieselbe Menge an Zeit, dieselbe Anzahl Minuten, Stunden und Jahre, und gefühlte Welten dazwischen. Heute scheint alles immer schneller zu gehen. Heutige Filme sind doppelt so schnell wie Opas Kino. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, gibt es seit dreißig Jahren den Begriff »Entschleunigung«. »Zeit ist Geld«, sagt das Sprichwort. Aber das stimmt nicht. Denn Zeit kann man nicht sparen wie Geld. Je mehr man versucht, Zeit zu sparen, desto »kürzer« werden die Tage und Wochen. Deshalb sind Momente der Stille unentbehrlich. Immer geht es darum, den Augenblick, der jedem von uns geschenkt wird, mit guten Gaben zu füllen. Dazu kann gehören, in der Freizeit Verantwortung zu übernehmen. »Wer anderen hilft«, so schrieben mir einmal ehemalige Schüler, »ist danach immer zufriedener. Aber auch für sich selbst sollte man Verantwortung übernehmen und seine freie Zeit nicht allein vor elektronischen Geräten wie Fernseher und Computer verbringen.« friedhelm geller sscc 8 apostel 1/2012 Julius Popp, Bit.fall, 2001–06, Courtesy Galerie Jochen Hempel, Leipzig, Foto: François Doury, Paris Mich hat die Arbeit »bit.fall« von Julius Popp sehr beeindruckt. Aus dem Internet werden aktuelle Schlagwörter von Nachrichtendiensten herausgefiltert und in den Kreislauf eines Wasserfalls eingespeist. Die Wörter bleiben nur sekundenlang im freien Fall lesbar. Es hat mir die Vergeblichkeit – ja geradezu die Lächerlichkeit – meines »Hinterherjagens« nach all den Informationen des Internets vor Augen geführt. Kaum gelesen, ist es schon wieder nichtig. Dazu produziert die Installation ein nerviges Trommeln, das das ganze Museum erfüllt. Ähnlich erging es mir mit dem Rattern der Informationstafel Mandi XXI von Kris Martin, die ständig in Bewegung ist, ohne dass wirklich etwas Substanzielles passiert. Welche Werke haben Sie beeindruckt, haben Sie zum Nachdenken angeregt? Bruder Rodrigo: Mich spricht das Werk von Hussein Chalayan »Place to Passage« aus dem Jahr 2003 besonders an. Die Frau in dem Auto ist ganz ruhig, obwohl sich alles bewegt. Um sie herum ist alles sehr modern, sie aber kann ruhen. Die Musik, die dabei zu hören ist, strahlt auch Ruhe aus. Es ist die Vision einer modernen Welt, in der der Mensch zur Ruhe kommt. Interessant war auch der spiralförmige Tisch von Mario Merz mit Obst und Gemüse. Die Früchte bewegen sich nicht; aber in ihrem Innern arbeiten die Zellen und werden unsichtbar älter. Hussein Chalayan, Place to Passage, 2003, 5 Screen Film Installation, Kunstmuseum Wolfsburg, © Hussein Chalayan 2003, Filmstills: Hussein Chalayan / neutral 2003. Seite 13 Geistlicher Wegbegleiter Anregungen für die Monate April, Mai und Juni Heilungsgeschichten im Neuen Testament Geistlicher Begleiter zum Heraustrennen Jesu Worte und Taten Jesus hat nicht nur geredet, er hat auch gehandelt. Herausfordernd wie seine Worte waren auch seine Taten, wir hören von ihnen in den Heilungsgeschichten und Wundern. Doch gerade viele dieser Taten bereiten uns häufig mehr Schwierigkeiten als alle seine Worte. Die Wunderüberlieferung ist weit stärker umstritten als die Wortüberlieferung. Das Wunder – nach Goethe »des Glaubens liebstes Kind« ist im naturwissenschaftlich-technologischen Zeitalter zu des Glaubens Sorgenkind geworden (siehe auch Küng, Christ sein S. 217). Doch bei den Betrachtungen des Geistlichen Begleiters geht es nicht um die Schwierigkeiten exegetischer und wissenschaftlicher Deutung der Berichte. Vielmehr stehen sie ganz im Dienste der Heilwerdung und der Christusverkündigung. Sie liefern ein eindrückliches Zeugnis für Jesus als den Messias, den Retter und Heiland. Sich auf etwas oder jemanden einlassen, darum ging es beim Geistlichen Begleiter der letzten Ausgabe. Manche Leserin und mancher Leser werden sich gesagt haben: »Ich würde mich ja gerne auf tiefere Fragen meines Lebens – auf so jemanden wie Jesus, auf Gott – einlassen, wenn ich doch nur wüsste, wie. Wie komme ich dorthin, wie dringe ich bis dorthin durch? Wie komme ich innerlich auf einen grünen Zweig? Wie komme ich zur Genesung, zur Veränderung, zur Wandlung, zum Glauben?« Das »Wie« kann einen lähmen, hilflos machen, es kann sich wie ein »Dämon« in das Leben einschleichen. Der erste Schritt ist darum der, dass man stillsteht, dass man sich Zeit dafür nimmt, zu entdecken, was einen wirklich beschäftigt. Dazu ist etwas »Mut-Wille« nötig, denn eine Zäsur im Leben vorzunehmen, ganz bewusst einen Einschnitt zu machen, um sich für eine Woche, für eine Stunde in der Woche oder für ein paar Minuten am Tag zurückzuziehen, ist scheinbar nichts Weltbewegendes, aber es fordert Willenskraft, denn die Welt, in der wir leben, ist im Allgemeinen gar nicht darauf ausgerichtet, solche Einschnitte oder bewusste Unterbrechungen zuzulassen – und schon gar nicht stillzustehen. Still werden erfordert Mut: Mut, ganz bewusst einen Schritt zu tun und für kurze Zeit »auszusteigen«. Mehr noch vielleicht erfordert Stille Mut, wenn man sich durch sie dazu führen lässt, zuzuhören, zu horchen, was in einem alles an Gedanken und Gefühlen umhergeht. Ich wünsche Ihnen viel Mut und Kraft für diesen geistlichen Weg. Alles Gute und Gottes Segen Ihr Pater Gerd Nieten SSCC Impulse für den Monat April Eigene Schwächen erkennen (Mk 1,40–45) Thema In der ersten Geschichte geht es zunächst darum, die eigene Situation und auch die eigene Schwäche wirklich anzuerkennen. Ein Aussätziger kam zu Jesus und bat ihn um Hilfe; er fiel vor ihm auf die Knie und sagte: Wenn du willst, kannst du machen, dass ich rein werde. Jesus hatte Mitleid mit ihm; er streckte seine Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will es – werde rein! Im gleichen Augenblick verschwand der Aussatz, und der Mann war rein. Jesus schickte ihn weg und schärfte ihm ein: Nimm dich in Acht! Erzähl niemandem etwas davon, sondern geh, zeig dich dem Priester und bring das Reinigungsopfer dar, das Mose angeordnet hat. Das soll für sie ein Beweis meiner Gesetzestreue sein. Der Mann aber ging weg und erzählte bei jeder Gelegenheit, was geschehen war; er verbreitete die ganze Geschichte, sodass sich Jesus in keiner Stadt mehr zeigen konnte; er hielt sich nur noch außerhalb der Städte an einsamen Orten auf. Dennoch kamen die Leute von überallher zu ihm. Ein Aussätziger ist ein Mensch, der »draußen« ist, hinausgesetzt. Keiner will mehr etwas mit ihm zu tun haben, keiner will ihn berühren, er strahlt etwas aus, was die Leute von ihm fernhält – ob mit oder ohne Schuld, das tut gar nichts zur Sache: Aussatz kann jeden befallen, auf alle möglichen Arten. Er kommt zu Jesus und setzt sich selbst in gewisser Weise über die Aussätzigkeit hinweg, indem er auf jemanden zugeht, von dem er Hilfe erwartet.Was sich innerlich bei ihm abspielt, drückt der Aussätzige leiblich aus: Er fällt vor Jesus auf die Knie. Er braucht Hilfe, das ist ihm klar, und dieses Eingeständnis ist ein erster Schritt zur Heilung. Im Innern findet ein Kampf statt, Widerstände werden spürbar, man geht nicht einfach so in die Knie! Man möchte wegrennen, einfach abhauen, sich (wieder mal) zurückziehen – um auf diese Art jedoch genau das zu verstärken, woran man leidet: Aussatz. Denn das ist ja im Grunde, was Aussatz bedeutet: nicht nur dass andere vor einem flüchten, sondern auch, dass man vor sich selbst davonrennt, vor dem eigenen Charakter, dem eigenen Leben. Fragen zum Nachdenken: Gibt es Momente in meinem Leben, in denen ich mich »draußen« erfahre, in denen ich mich wie ein Aussätziger fühle? »In die Knie gehen« – woran denke ich dabei in Bezug auf mein eigenes Leben? Was empfinde ich dabei? Der Aussätzige kommt zur Erkenntnis, dass Jesus ihm helfen kann. Was muss eigentlich noch alles passieren, bis ich mich Jesus zuwende? Gebet Vater im Himmel, sei du das Heil, gib, dass ich meine Armseligkeit hinter mir lasse und an dich gelehnt mich hinauswage auf die unbekannten Wege der Freiheit. Impulse für den Monat Mai Auf eigenen Füßen stehen (Apg 3,1–10) Thema Geistlicher Begleiter zum Heraustrennen Dieser Text erzählt von den ersten Christen. Hier ist nicht Jesus der Hauptakteur, sondern es sind die führenden Männer der jungen Christengemeinde. Sie kommen nach und nach zu der Entdeckung, dass das, was Jesus unter ihnen gelebt und gewirkt hat, auch unter ihnen und durch sie möglich ist. Petrus und Johannes gingen um die neunte Stunde zum Gebet in den Tempel hinauf. Da wurde ein Mann herbeigetragen, der von Geburt an gelähmt war. Man setzte ihn täglich an das Tor des Tempels, das man die schöne Pforte nennt; dort sollte er bei denen, die in den Tempel gingen, um Almosen betteln. Als er nun Petrus und Johannes in den Tempel gehen sah, bat er sie um ein Almosen. Petrus und Johannes blickten ihn an, und Petrus sagte: Sieh uns an! Da wandte er sich ihnen zu und erwartete, etwas von ihnen zu bekommen. Petrus aber sagte: Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, gehe umher! Und er fasste ihn an der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich kam Kraft in seine Füße und Gelenke; er sprang auf, konnte stehen und ging umher. Dann ging er mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott … Der Mann, der im Mittelpunkt der Geschichte steht, ist schon »von Geburt an« gelähmt. Er kennt es nicht anders, als dass er unbeweglich ist. Nie ist er selbstständig gewesen, er hat nie auf eigenen Füßen gestanden, immer ist er nur mithilfe anderer weitergekommen. Vielleicht liegen die Ursachen bei seinen Eltern, wer weiß. Was bleibt einem da schon übrig, als um die Gunst anderer zu betteln, Almosen zu erbitten und dankbar zu nicken. Da kommen Petrus und Johannes, zwei Männer, die durch Schwierigkeiten gelernt haben, »ihren Mann zu stehen«. Die beiden sehen ihn an, so steht es ausdrücklich im Text. Das heißt, sie erkennen, was wirklich los ist in dieser Stituation: Hier sitzt jemand fest, fest in seiner Erwartung, dass andere ihn versorgen. Hier sitzt jemand, der mit den milden Gaben anderer zufrieden ist. Jeder Mensch, der ihm begegnet, ist ein möglicher Almosengeber, einer, der etwas für ihn tun kann. Petrus sagt: »Silber besitze ich nicht.« Das heißt, wer uns anschaut, wird nicht reich werden. Es geht um etwas anderes, es geht um Aufstehen, es geht um selbstständig werden, um das Loslassen und Loskommen von den billigen Resten anderer. Es geht um Hilfe, die ihn auf die eigenen Beine bringt. Petrus richtet ihn auf, mit der rechten Hand, handgreiflich, leiblich; und er weckt die Kraft des Gelähmten – innerlich, seelisch. Fragen zum Nachdenken: Was sind meine »Almosen«, von denen ich, wenn ich ganz ehrlich bin, lebe oder womit ich andere abspeise? Wovon lebe ich selbst? Wer oder was gibt mir die Kraft, im täglichen Leben meinen Mann oder meine Frau zu stehen? Wer oder was »richtet mich auf«? Gebet Gott, gib mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann; den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann; und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Impulse für den Monat Juni Thema Willst du wirklich? Der Text des Monats Mai hat uns bewusst gemacht, dass es wichtig ist, einen Anfang damit zu machen, wirklich auf eigenen Füßen zu stehen, für das eigene Leben gradezustehen. Aber das geht nur dann, wenn man wirklich entschlossen ist. Die Frage »Willst du wirklich?«, mit der sich der folgende Text beschäftigt, ist eine Einladung, sich selbst und sein eigenes Vermögen ernst zu nehmen und zu lernen, darauf zu vertrauen, dass man als Mensch gewollt und akzeptiert ist. In Jerusalem gibt es beim Schaftor einen Teich, zu dem fünf Säulenhallen gehören; dieser Teich heißt auf Hebräisch Betesda. In diesen Hallen lagen viele Kranke, darunter Blinde, Lahme und Verkrüppelte. Dort lag auch eine Mann, der schon achtunddreißig Jahre krank war. Als Jesus ihn dort liegen sah und erkannte, dass er schon lange krank war, fragte er ihn: Willst du gesund werden? Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich, sobald das Wasser aufwallt, in den Teich trägt. Während ich mich hinschleppe, steigt schon ein anderer vor mir hinein. Da sagte Jesus zu ihm: Steh auf, nimm deine Bahre und geh! Sofort wurde der Mann gesund, nahm seine Bahre und ging. Wenn jemand so lange krank ist, obwohl er gesund würde, wenn er nur direkt eine Chance nützen würde, die das Leben ihm manchmal bietet und (Joh 5,2–9 ) immer wieder geboten hat, dann stellt sich irgendwann einmal die Frage: Willst du überhaupt gesund werden? Willst du wirklich? Die Antwort des Kranken lautet: Es liegt an den Umständen, doch nicht an meinem Willen, gesund werden zu wollen. Die anderen sind immer vor mir, ich habe einfach keinen, der mir hilft. So lange der Kranke sich mit anderen vergleicht, kann er die Verantwortung für das eigene Leben abwälzen. Es gilt diese Vorteile, diesen »Krankheitsgewinn«, einzugestehen, denn aus ihnen kommen die Lähmungen hervor, die einen daran hindern, ins volle Leben einzutauchen. Die Frage »Willst du gesund werden?« ist eine Einladung, ein Appell, die Lähmungen zu erkennen, sie von sich abzuschütteln und an die eigenen Fähigkeiten und Talente zu glauben. Fragen zum Nachdenken: Gibt es in meiner Umgebung oder auch in mir selbst »Orte und Gegenden«, die vergleichbar sind mit dem Teich bei dem Schaftor? Welche? Was schleppe ich eigentlich alles mit in meinem Leben? Gibt es bei mir Lähmungen oder Ballast, von denen ich mich am liebsten losmachen würde? Was heißt für mich »meine Bahre nehmen und gehen«? Gebet Herr, unser Gott, jedem, der in sich selbst gefangen ist, schenkst du dein befreiendes Wort. Zur Freiheit hast du uns gerufen und dass wir Menschen würden nach dem Bild und dem Geiste deines Sohnes. Ich bitte dich: Gib mir die Kraft, die er vorgelebt hat, gib mir die Weite, die er aufgetan hat – mach mich empfänglich und frei, dann werde ich mit dir leben, in und für diese Welt. titelthema Pater Manfred: Die ganz simple Installation »Roue de bicyclette« von Marcel Duchamp – einfach ein Hocker mit einem stehenden Rad – hat mich fasziniert. Dem Rad wird die Erlaubnis gegeben, stillzustehen … Und ich habe mich eine ganze Zeit vor die Nägel-auf-Holz-Installation »Alles fließt« von Günther Uecker gesetzt, die mich beruhigt hat. Oder die großen Perlen-Schalen des chinesischen Künstlers Ai Weiwei. Wenn man seine Lebensgeschichte kennt, Verfolgung und Todesangst, und dann diese Perlentassen, die so viel »Ruhe« und »Frieden« ausstrahlen … und das in Gegenüberstellung zu dem Werk von Zhou Xiaohu mit der monumentalen chinesischen Militärparade. Mich fasziniert, wenn Künstler angesichts von Bedrohung Werke schaffen, die Frieden ausstrahlen, oder angesichts von großen Veränderungen mit ihren Werken zu innerer Ruhe einladen. Wird in den Werken mehr als eine Beschreibung des Phänomens und der Folgen geleistet? Haben Sie in der Ausstellung für sich einen Hinweis entdeckt, wie Sie Ihr Leben »entschleunigen« könnten? Pater Manfred: Wenn Sie nach Lösungen fragen: Es gibt keine einfache Handlungsanleitung! Die Ausstellung verunsichert. Sie unterbricht, und sie fragt: »Wie gehst DU mit deiner Zeit um?« Wir hatten noch nie so viel Zeit wie heute! Wir haben im Schnitt mehr Lebenszeit und können die Zeit viel besser nutzen, aber wir sind gehetzter als die Menschen, die weniger Lebenszeit und nicht die Möglichkeit hatten, sich so schnell wie wir fortzubewegen oder miteinander zu kommunizieren. Bruder Rodrigo: Die Ausstellung provoziert bei mir die Frage, weshalb ich nichts gegen diese Geschwindigkeit mache. Warum gehe ich so weiter, obwohl ich weiß, dass ich etwas verändern müsste? Weshalb benutzen wir eigentlich einen so stromlinienförmigen Begriff wie »Entschleunigung«? Trauen wir uns nicht von »Verlangsamung« zu sprechen? Würde das die Götzen unserer Zeit »Fortschritt« und »Wachstum« infrage stellen? Pater Manfred: Eigentlich sind wir immer noch vom Tempo fasziniert – wie die Leute im 19. Jahrhundert. Langsam ist schon schlimm, Verlangsamung ist dann die Steigerung davon … Wir merken zwar, dass wir an die Grenzen fehlen. Daraus folgt die Verabsolutierung der »vita activa«, des tätigen Lebens. Er meint, in unserer heutigen »Aktivgesellschaft« zähle nur die Tätigkeit, und der Mensch sei zu einem »animal laborans«, zu einem »Arbeitstier«, verkommen. Dadurch sei die Erfahrung von »erfüllter Zeit« unmöglich geworden. Pater Manfred: Wer rastet, der rostet, heißt es. Dazu fällt mir aus der Ausstellung das Porträt des Menschen mit den geschlossenen foto: kerstin meinhardt • idstein Seite 8 Viel Lärm um nichts: Die beiden Ordensmänner betrachten das Werk Char MK von Jean Tinguely (1966/67), das sich lautstark bewegt, ohne von der Stelle zu kommen (Museum Tinguely, Basel, Schenkung Niki de Saint Phalle). kommen, wollen Tempo rausnehmen, aber wir tun es halbherzig. Wir haben immer noch den Verdacht, dass »langsamer leben« auch »weniger haben« und »weniger haben« auf jeden Fall »schlechter leben« bedeutet. Ist überhaupt »Beschleunigung« das Thema unserer Zeit? Der Philosoph Byung-Chul Han meint, die »Beschleunigungstheorie« würde nicht das eigentliche Problem benennen. Das, was uns in unserem modernen Leben krank macht, sei nicht die »Zeitkrise«, sondern vielmehr die Tatsache, dass ihr ein ordnender Rhythmus und die Erfahrung von Dauer Augen ein. Im Bistum Münster hatten wir im vergangenen Jahr eine Diskussion um ein Grundsatzpapier. Dabei ging es um die Strukturreform; aber vor allem auch um die Frage, was denn – in welchen Strukturen auch immer – die Sendung der Kirche im Bistum Münster ist. Wenn ich nach der Sendung frage, fällt den Leuten als Erstes ein: »Was müssen wir tun?« und »Was sollen wir denn noch alles machen?« Eigentlich geht es aber darum, erst mal gar nichts zu machen. Zunächst müssen wir kontemplativ – also aufmerksam hinhörend, empfangend – sein und nicht aktiv. Alfred Delp sagt: »Die Welt ist Gottes 1/2012 apostel 13 titelthema Jonathan Schipper, The Slow Inevitable Death of American Muscle, 2007/08, Installation (Hydraulik, Verfahreinheit,Steuerung), 2 Autos, 1008 x 203,2 x 182 cm, Courtesy Jonathan Schipper und Pierogi Gallery, Foto: Jonathan Schipper, © Jonathan Schipper voll. Aus allen Poren quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind.« Es geht darum, die Augen zu schließen und zuzulassen, was wir dann sehen. Bruder Rodrigo: Was den Umgang mit Zeit angeht, nehme ich die Botschaft aus der Ausstellung mit, dass das »Immer schneller« irgendwann zwangsläufig zum Crash führt. Daran erinnert das Kunstwerk von Jonathan Schipper: Zwei Autos werden unaufhaltsam und in einem Tempo, das die Augen nicht wahrnehmen können, aufeinander zubewegt. Pater Manfred: Wir müssen unterscheiden zwischen der messbaren Zeit, der Chronologie, Nam June Paik, TV-Buddha, 1997, BuddhaKopf, Eisenwanne, Erde, Courtesy Sammlung Falckenberg, Hamburg, Foto: Egbert Haneke und dem Augenblick, in dem ein Wert und eine Chance liegt, dem Kairos*. Es gibt in der Wolfsburger Ausstellung Darstellungen, die ganz stark die Chronologie verherrlichen; andere, die sie kritisch sehen, und wieder andere, die ermutigen, an den Kairos zu glauben: dass etwas ist; dass etwas wird; dass etwas wachsen kann … und die Erlaubnis zu geben und die Bedingungen zu schaffen, dass etwas wachsen kann. Byung-Chul Han vertritt die Auffassung, dass nicht Strategien der Entschleunigung gefragt seien, sondern die Wiederentdeckung der »Kunst des Verweilens«. Können Ordenschristen wie Sie etwas zur Wiederbelebung der »vita contemplativa« – des beschaulichen Lebens – beitragen? Pater Manfred: Eine unserer Botschaften lautet: Wir müssen nicht alles selbst leisten. Wir müssen zwar alles geben, aber nicht darüber hinaus. Fünf Brote, zwei Fische, aber die Brotvermehrung müssen wir nicht leisten. Die zweite Botschaft: Wir müssen uns prüfen, wo wir selbst unnötigen Zeitdruck machen. Wir sind ja nicht dauernd in Lebensnot. Wir dürfen nicht ständig so tun, als ginge es bei allem um Leben und Tod. Auch als Ordensleute sind wir Teil des Systems. Wir sind nicht nur Opfer der Beschleunigung, wir sind ja auch Täter … Bruder Rodrigo: Gebetszeiten sind eine Auszeit. Die Ausstellung bewirkt bei mir, noch mal genauer hinzusehen: Im Gebet möchte ich entdecken, was Gott eigentlich heute, an diesem konkreten Tag, will; wo er von mir erwartet, dass ich arbeite. Und wo er mir sagt, dass ich ruhen und vertrauen soll. P. Manfred: In unserer Kommunität treffen wir uns jeden Morgen um 6.30 Uhr zu einer stillen Zeit. Diese halbe Stunde vor dem gemeinsamen Morgenlob hilft mir, mich »einzunorden«. Ich erfahre: »Gott hat Vorrang.« Was ich danach den Tag über bei mir und anderen erlebe, ist leider oft das genaue Gegenteil. ■ * In der griechischen Philosophie wird unterschieden zwischen »kairos«, dem rechten Zeitpunkt, und »chronos«, dem Zeitabschnitt. In den biblischen Texten wird mit Kairos der von Gott gegebene Zeitpunkt bezeichnet, der eine besondere Chance und Gelegenheit bietet, seinen Auftrag zu erfüllen. www.kunstmuseum-wolfsburg.de 14 apostel 1/2012 symbole der kirche – kurz erklärt Harold Lloyd im Stummfilm »Ausgerechnet Wolkenkratzer!« (Safety Last, 1923) Turmuhren – Orientierung und Mahnung Ein Mann hängt am großen Zeiger einer riesigen Uhr, die wiederum am obersten Stockwerk eines Wolkenkratzers angebracht ist. Der Mann hatte auf dem Weg zum Happy End verschiedene Hindernisse überwinden müssen und wollte jetzt einem Schutzmann entkommen – nach oben! Er strampelt verzweifelt mit den Beinen und reißt schließlich das Zifferblatt heraus. Tief unter ihm fließt der New Yorker Verkehr. Die Szene wirkt wie ein Sinnbild unserer heutigen Lage. Nicht mehr die Uhren der Kirchtürme bestimmen den Tagesablauf, sondern die Anweisungen von Banken und Ratingagenturen sagen, wo’s langgeht. Die Turmuhr – wie wir sie seit dem Mittelalter kennen – ist die Mutter aller mechanischen Uhren. Die erste öffentliche Uhr wird 1344 aus Padua gemeldet. Der heilige Antonius hat sie also noch nicht gekannt. Schon die alten Babylonier und Ägypter verstanden es, mithilfe von Licht, Wasser, Kerzen und Sand die Zeit zu messen. Islamische Gelehrte – auch in Philosophie und Theologie Brückenbauer – retteten im Mittelalter viele wissenschaftliche Erkenntnisse nach Europa und bescherten uns das Sechziger-Prinzip unserer Zeitberechnung: 1 Stunde = 60 Minuten = 3600 Sekunden. Bis zur Entwicklung der nötigen Technik mussten Nachrichten mündlich weitergegeben werden. Auch die Uhrzeiten. Ausrufer, Nachtwächter und Türmer erinnerten die Menschen daran, dass es viele Stunden gibt und auch eine letzte. Die Turmuhr hatte eine Schwester zur Seite, die für sie sprach: die Glocke. Sie verkündete durch den Engel des Herrn den Anfang und das Ende des Tages. (»Kinder, nach Hause kommen!«) Sie rief zu den Gottesdiensten, war Botin für freudige und traurige Ereignisse. Manche haben eine ganz bestimmte Melodie, wie der wahrscheinlich weltweit bekannteste Uhrenturm: Big Ben in London. Und die Entwicklung ging weiter. Kinder müssen nicht mehr nach der Zeit fragen, seit es Quarz-, funkgesteuerte Atom- und Digitaluhren gibt und die Stunde auf dem Handy oder Smartphone abgelesen werden kann. Gleichwohl haben Turmuhren ihren Charme bewahrt, und wir finden sie, außer an Kirchen, auch an Rathäusern, Bahnhöfen, Flughallen oder einfach als Uhrenturm an Orten, wo viele Menschen zusammenkommen. Vielleicht als Antwort auf die uralten Fragen, wie denn das Räderwerk der Welt funktioniert und ob es da nicht im Geheimen einen Uhrwart gibt, der für den Ablauf der Stunden, Minuten und Sekunden sorgt. ■ friedhelm geller sscc 1/2012 apostel 15 familie sscc P. OlavP.Müller SSCC Olav Müller SSCC P. Olav am norwegischen Nationalfeiertag im Gespräch mit zwei seiner Pfarrkinder »Pateren dypper pennen« (Der Pater greift zur Feder) lautet der Titel eines neuen Buches, das gerade in Norwegen erschienen ist. Geschrieben hat diese außergewöhnliche Lebensgeschichte unser Mitbruder Pater Olav Müller und dabei gleichzeitig eine Art Kirchengeschichte Norwegens der letzten sieben Jahrzehnte verfasst. P. Olav, 1924 in Trondheim geboren, fegt schnell den Gedanken beiseite, die reiche religiöse Tradition der Stadt habe ihm den Glauben gleichsam in die Wiege gelegt. Das Elternhaus war liberal, der Religionsunterricht miserabel, und er hatte keinerlei Verhältnis zur lutherischen Staatskirche. Aber der Knabe war ein Draufgänger, und als die Deutschen 1940 Norwegen besetzten, schaffte er es schnell, selbst als Jugendlicher die Aufmerksamkeit der deutschen Besatzungsmacht in einem Maße auf sich zu ziehen, dass er nach Schweden fliehen musste. Eine etwas ausführlichere Fassung dieses Porträts finden Sie unter www.arnsteiner-patres.de 16 apostel 1/2012 »In die Kirche eingeschlichen« Die Schweden fürchteten die unternehmungslustigen Draufgänger aus dem Nachbarland und versuchten, ihren Tatendrang mit harter Arbeit in den Wäldern zu zügeln. Erst als sich die deutsche Niederlage abzeichnete, erhielten sie eine militärische Ausbildung, um nach der Befreiung Norwegens als Ordnungsmacht aufzutreten. Bei dieser Ausbildung traf Olav einen jungen katholischen Kameraden, der ihn tief beeindruckte. Er wurde neugierig, und der Gedanke, katholisch zu werden, entstand, als sie im Dezember 1944 an die Front nach Nordnorwegen sollten. Olav wollte wenigstens als Katholik sterben – so seine Worte –, und das letzte Wochenende im friedlichen Schweden wurde dazu genutzt. Für Unterricht war keine Zeit, aber eine kurze Befragung über »heilsnotwendige Wahrheiten« musste er über sich ergehen lassen. Er bestand sie mit Hilfe seines Freundes, der hinter dem prüfenden Dominikaner stand und je nach Bedarf den Daumen hob oder senkte, um anzuzeigen, in welche Richtung er antworten sollte. Er bestand das Examen, und angesichts der Umstände wurde er sofort in die Kirche aufgenommen. »Er schlich sich in die Mutterkirche ein«, um es mit seinen Worten zu sagen. Pater Olav (hinte n links) 1960 im Kreis seiner Mitbrüder vkirche r neuen St. Ola Einweihung de e itt M r de 73: in in Trondheim 19 von ihm ts ch re , th es Rü Bischof Johann r te von ihm Pa Pater Olav, links s Mayen. au rf he Mathias Sc Pater Olav mit ein em seiner Rottw eiler, die über viele Jahr e seine treuen W eg­ begleiter waren. Sie bewachten da s einsame Pfarrhau s oder begleitete n ihn auf seinen ausgieb igen Wanderung en. eine norwegische Institution »Der erste norwegische katholische Priester aus Trondheim nach der Reformation« Nach der Kapitulation Deutschlands brauchte das Land seine Soldaten nicht länger. Sie wurden bald entlassen. Olav vollendete seine abgebrochene Schulausbildung und hielt Kontakt zu unseren Patres in Trondheim. In dieser Zeit beschloss Olav, Priester zu werden. Seine Familie war entsetzt, aber er ließ sich nicht beirren und fand sich plötzlich im Studienhaus der Ordensprovinz in Simpelveld (Niederlande) wieder, zusammen mit ehemaligen Soldaten, die nach und nach aus den Kriegsgefangenenlagern der ganzen Welt heimkehrten. Hätten sie sich ein paar Jahre vorher getroffen, hätten sie aufeinander geschossen. Nun schlugen sie sich gemeinsam mit Philosophie und Theologie herum. »Arm wie eine Kirchenmaus« Im Jahr 1954 wurde P. Olav in Trondheim zum Priester geweiht, und nach kurzer Kaplanszeit in Deutschland kehrte er 1957 dorthin zurück. Man macht sich keine Vorstellung von den ärmlichen Verhältnissen. Kirche und Pfarrhaus waren ein umgebauter Lokomotivschuppen. Die Gemeinde zählte gerade mal 250 Seelen: Norweger und Einwanderer aus Europa, die der Krieg nach Norwegen verschlagen hatte. Es waren einfache Leute, und die Einkünfte waren dementsprechend bescheiden. Retter in der Not waren oft die Elisabethschwestern, die durch ihre Hospitäler feste Einkünfte erwirtschafteten. Kam ein Pater mit allzu schäbigen Hosen zur Frühmesse, stellte die Sakristeischwester resolut fest: »So können Sie nicht herumlaufen. Ich spreche mit Schwester Oberin.« So kam Schwester Oberin, um den Pater in Augenschein zu nehmen, und oft hing dann einen Tag später eine neue Hose in der Sakristei. »Ein katholischer Norweger« Für die Norweger war »katholisch« ein anderes Wort für »ausländisch«. In der Gestalt P. Olavs kam einer der Ihren, ein Meister des Wortes, umfassend gebildet und mit einem hintergründigen Humor. Er hielt unzählige Vorträge über die katholische Kirche, schrieb Artikel und nahm an öffentlichen Diskussionen teil. Es waren die Anfänge der ökumenischen Bewegung. Seelsorge in dieser Zeit war persönliche Seelsorge. Nicht nur für Katholiken. In seinem Buch »Pateren dypper pennen« (Der Pater greift zur Feder) beschreibt er einige Typen: den unverdrossenen Kämpfer der Heilsarmee, der mit seiner Sammeldose jahrein, jahraus dem Herbstregen trotzte, den sturmerprobten Fischer mit seiner kräftigen Sprache oder den verkifften Hippie auf der Parkbank. Ein Herz für die Jugend Trondheims Jugend beschreibt den Einsatz P. Olavs mit einem Wort: »Hitra«. Hitra ist eine Insel. Hier stand die Hütte, nicht irgendeine, sondern P. Olavs Hütte. Um sie zu finanzieren, hatte er zwei Sommerferien lang im Steinbruch gearbeitet und einen Sommer lang in Ålesund Heringe geräuchert. Hier wusch man sich in algenbraunem Wasser aus einer Zisterne, hier lauschten sie seinen Katechesen am Kaminfeuer, hier drehte man mit einer Schmalfilmkamera Filme, und von hier aus brach man auf, um in der uralten Inselkirche Gottesdienst zu feiern. Noch immer aktiv P. Olav hat viel erlebt: die Armut der Nachkriegsjahre, das erste zarte Aufblühen der Ökumene im Land, den Aufbruch durch das Konzil, den gewaltigen Mitgliederzuwachs in der katholischen Kirche in den letzten 30 Jahren ... Für die vietnamesischen Kinder in Kristiansand war er nur der »Großvater«. Für viele Norweger ist er inzwischen fast eine Institution. Seine Vorträge und Artikel füllen einen großen Teil des katholischen Internet-Informationsdienstes, und er ist auch mit 88 Jahren kein bisschen müde. Vor Kurzem erschien noch eine norwegische Kirchengeschichte aus seiner Feder. ■ p. heinz josef catrein sscc 1/2012 apostel 17 nachrichten Goldene Priesterjubiläen: P. Harald Adler SSCC P. Edouard Brion SSCC wurde am 17. Januar 1937 in Gnadenfeld, einem deutschen Kolonistendorf bei Odessa, in der damaligen Sowjetunion geboren. Die Kriegswirren verschlugen die sechsköpfige Familie 1944 in das Taunus-Dörfchen Buch (bei Nastätten), wo zwei weitere Geschwister geboren wurden. Nach der gymnasialen Ausbildung an der Johannisschule in Lahnstein und dem Noviziatsjahr in Burgbrohl trat er 1937 der Ordensgemeinschaft bei und studierte Philosophie und Theologie in Simpelveld, Niederlande. Am 15. April 1962 wurde P. Harald zum Priester geweiht, studierte Germanistik und bereitete sich auf das Lehramt an Gymnasien vor. Er unterrichtete neun Jahre lang in Lahnstein und war von 1978 bis 2001 Schulleiter des Christophorus-Gymnasiums in Werne. Nach seiner »Pensionierung« war P. Harald von 2001 bis 2003 Ausbildungsleiter in unserem Studienhaus in Münster. 2003 siedelte er auf die Philippinen über, um an einem internationalen Ausbildungsprojekt unserer Gemeinschaft mitzuarbeiten. Seit 2008 betreut er gemeinsam mit fünf Schwestern und vier Brüdern die Pfarrei »Auferstehung unseres Herrn« in Bagong Silang, Metro-Manila. wurde am 23. April 1937 in Graide, einem Dorf in den Ardennen, geboren und erhielt seine Ausbildung an den Ordensschulen unserer Kongregation in Waudrez und Suarlée (Belgien). Nach seiner Profess (1955) und Priesterweihe (1962) arbeitete er zunächst als Lehrer und wurde anschließend in die Ordensleitung berufen. Dieses Amt übte P. Eduard sowohl in seiner Heimatprovinz als auch in der Generalleitung in Rom aus. Zwei Jahre lang wirkte er als Missionar in der Diözese Kole (Kongo). Heute lebt er in unserer Kommunität in Charleroi (Belgien), ist weiterhin seelsorglich aktiv und engagiert sich in Bewegungen, die für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt eintreten. 25-jähriges Professjubiläum Oasentage in Kloster Arnstein Pater Ludger Widmaier SSCC wurde 1964 in Hamm-Bockum-Hövel geboren, in Werne-Stockum wuchs er auf. Er war Schüler des Christophorus-Gymnasiums in Werne und lernte dort auch die Arnsteiner Patres kennen. Nach Abitur und Zivildienst ging er in das Postulat und Noviziat nach Arnstein, wo er am 19. März 1987 seine ersten Gelübde abgelegte. Er studierte in Münster an der Hochschule der Franziskaner und Kapuziner (1987–1992) und verbrachte die vorgesehenen Freisemester (1989/90) in Paris. Nach seinem Studium bereitete er sich 1992 auf seinen Südamerikaaufenthalt vor, verbrachte das Jahr 1993 in Chile, um seine Kenntnisse der spanischen Sprache zu vertiefen und die pastorale Arbeit dort kennenzulernen, und ging 1994 nach Argentinien. Bis 1998 arbeitete er vor allem in der Jugendarbeit der Pfarrei »Sagrada Familia« in Morón, Buenos Aires. Hier wurde P. Ludger am 14. Dezember 1996 auch zum Priester geweiht. Nach einem Jahr der Weiterbildung, die ihn nach Kolumbien und in die USA führte, wurde P. Ludger für fünf Jahre die kleine Gemeinde »Jesús de Nazareth und Medalla Milagrosa« in Libertad, Buenos Aires, übertragen. Ende 2004 kehrte er wieder nach Deutschland zurück und arbeitet nach einer Phase der Akklimatisierung seit 2006 in der Citypastoral in Koblenz mit. Die Arnsteiner Oasentage laden ein, zur Ruhe zu kommen und auf Körper, Seele und Geist zu hören. Im Wechsel von Gespräch und Meditation, Stille und Gesang wird jeweils ein Thema näher betrachtet. Freitag, 23. 3., oder alternativ Samstag, 24. 3., jeweils von 9.00 bis 18.00 Uhr Thema: »Wenn das Kreuz zum blühenden Lebensbaum wird ...« Weil Jesus gelebt hat, können andere leben. Wäre er seinen Weg nicht bis ans Ende gegangen, hätten wir nicht gelernt, den ausgeplünderten und geschlagenen Fremden als Bruder anzunehmen. Freitag, 4.5., oder alternativ Samstag, 5.5., jeweils von 9.00 bis 18.00 Uhr Thema: »Vom Losgehen und vom Ankommen ...« Um den eigenen Ort, das eigene Zentrum zu finden, muss ich ausziehen, weggehen, mein eigenes Ego loslassen. Anmeldung bis jeweils zehn Tage vor dem jeweiligen Oasentag: Kloster Arnstein, 56379 Obernhof/Lahn, Tel.: 0 26 04 9 70 40, Fax: 0 26 04 97 04 26, E-Mail: kloster.arnstein@sscc.de Nähere Informationen zu den Oasentagen finden sich auf unserer Website: www.arnsteiner-patres.de unter »Angebote«. 18 apostel 1/2012 nachrichten P. Rainer Gaipl SSCC wurde am 6. August 1933 in Brüx (Sudetenland) geboren. Krieg und Vertreibung führten die Familie nach Thüringen, von wo er nach Lahnstein ging, um am Johannes-Gymnasium sein Abitur zu machen. Konsequent verfolgte er sein Ziel, Priester zu werden. 1960 legte P. Rainer die ewigen Gelübde ab und wurde am 15. April 1962 zusammen mit P. Harald Adler SSCC zum Priester geweiht. Sein erstes Betätigungsfeld waren Internat und Schule in Lahnstein, bis sich 1972 sein Wunsch verwirklichte, in der Pfarrseelsorge zu arbeiten. Von 1991 bis 2001 war er Pfarrer und Dechant in Herzogenrath, von 2001 bis 2009 Pfarrer in Rieden. Mit Erreichen der Altersgrenze musste er aus dem aktiven Dienst ausscheiden. Im Seniorenheim St. Josef in Bad Breisig fand er eine neue Heimat und auch eine neue Wirkungsstätte als Seelsorger. Ein Herzensanliegen ist dem Jubilar die Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen. Seit 30 Jahren setzt er sich für dieses Ziel ein, erst in Deutschland und nach der »Wende« auch in Tschechien. Neuigkeiten aus Mosambik Am 7. Februar berichtete Schwester Elisabeth Drolshagen SSCC über die aktuellen Ereignisse im Kinderheim, dass sie gemeinsam mit ihren Mitschwestern seit einigen Jahren in Mosambik (Südostafrika) aufbaut. Sind auch viele alltägliche Probleme wie die großen Schwierigkeiten bei der Trinkwasserversorgung für uns kaum vorstellbar, so ist aus ihren Worten doch die große Freude darüber zu spüren, den Mädchen, die als Waisen sonst kaum eine Zukunftsperspektive hätten, ein Zuhause und eine Schulausbildung ermöglichen zu können. Wer ihren aktuellen Bericht lesen und mehr über das Waisenhausprojekt in Mosambik erfahren möchte, findet dies auf unserer Website: www.arnsteiner-patres.de »Bauboom« in Manila P. Harald Adler SSCC berichtet, dass alle drei großen Bauprojekte der SSCC-Pfarrei Bagong Silang in Metro-Manila (Philippinen) große Fortschritte machen: Die neue Kirche soll am Pfarrfest der Pfarrei am 6. Juni und das »Damian Social Center« am Fest des heiligen Damian am 10. Mai 2012 eingeweiht werden. 24 kleine Häuschen für die Opfer des Taifuns Ondoy (2009) wurden bereits an die ersten Familien übergeben, weitere 20 sollen bald fertiggestellt sein. Wer Näheres wissen oder die Pfarrei in ihrer Arbeit unterstützen möchte, findet dies auf unserer Website: www.arnsteiner-patres.de Impressum Apostel (ISSN 1611-0765) Herausgeber: Provinzialat der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens (Arnsteiner Patres e. V.), Johannesstraße 36 A, 56112 Lahnstein, Tel.: 0 26 21  62 99 15, Fax: 0 26 21  62 99 20, E-Mail: provinzialat@sscc.de, Internet: www.arnsteiner-patres.de SSCC ist die Abkürzung für die Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen, in Deutschland als Arnsteiner Patres und auch als Picpus (nach der Straße des Mutterhauses in Paris) bekannt. Redaktion: P. Heinz Josef Catrein SSCC (verantwortlich) • P. Martin Königstein SSCC, Kerstin Meinhardt • Thomas Meinhardt • P. Ludger Widmaier SSCC Weitere Mitarbeitende dieser Ausgabe: P. Friedhelm Geller SSCC, Werne • Pater Manfred Kollig SSCC, Münster • P. Gerd Nieten SSCC, Koblenz • Bruder Rodrigo Alcántara Serrano SSCC, Münster Verlag: Meinhardt, Magdeburgstraße 11, 65510 Idstein, Tel.: 0 61 26  9 53 63-0, Fax: 0 61 26  9 53 63-11, E-Mail: info@meinhardt.info, Internet: www.meinhardt.info Erscheinungsort: Lahnstein Auflage: 5.600 Exemplare, gedruckt auf 100 % Recyclingpapier Titel: Blick in die Ausstellung »Die Kunst der Entschleunigung. Bewegung und Ruhe in der Kunst von Caspar David Friedrich bis Ai Weiwei. Foto: Marek Kruszewski Fotos: S. 2: www.peterzaludek.com • S. 3: istock • S. 4: istock •S. 5: KNA • S. 6–8 und 13–14: Nachweise an den Bilder • S. 10 coloroftime • S. 11 Johanna Doorenbosch • S. 12 kryczka • S. 15: -M-I-S-H-A- • S.20: www.photodisc.com • Alle weiteren Bilder stammen aus dem Archiv der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen und der Firma Meinhardt Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung von Herausgeber und Redaktion wieder. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Fotos kann keine Haftung übernommen werden. Ihnen hat die Zeitschrift »Apostel« gefallen? Ihnen hat die Zeitschrift »Apostel« gefallen? Die Quartalszeitschrift wird kostenlos abgegeben. Falls Sie den Apostel zugesandt bekommen möchten, melden Sie sich bitte bei: Provinzialat der Arnsteiner Patres e. V. ■ Johannesstraße 36 A ■ 56112 Lahnstein Spenden … … mit denen Sie unsere Arbeit in Deutschland und weltweit fördern, sind uns willkommen. Sie können mit einem Förderabo die Herausgabe der Zeitschrift unterstützen: Bitte überweisen Sie unter Angabe des Verwendungs­ zweckes »Apostel« auf das Konto Arnsteiner Patres e. V.: Kontonummer 656 120 010 bei der Nassauischen Sparkasse Lahnstein (BLZ 510 500 15) 1/2012 apostel 19 Ordensleben aus Glaube und Liebe Vor vielen Jahren bin ich in die Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariä eingetreten, um intensiver den Glauben zu leben und dadurch Gott und den Menschen näher zu sein. Ungeachtet meiner Schwächen und Unzulänglichkeiten bin ich all die Jahre der Ordensgemeinschaft treu geblieben, für die ich mich auch heute noch einmal entscheiden würde. Bruder Dieter Lechtenfeld SSCC, Kloster Arnstein Einer von 800 Brüdern der weltweiten Familie SSCC Unsere Niederlassungen in Deutschland Arnsteiner Patres Bohlweg 46 ■ 48147 Münster Tel.: 02 51 48 25 33 ■ Fax: 02 51 4 82 53 59 E-Mail: Muenster@sscc.de Arnsteiner Patres Horststraße 35 ■ 56651 Niederzissen Tel.: 0 26 36 61 66 ■ Fax: 0 26 36 60 60 E-Mail: kirchengemeinde-niederzissen@t-online.de Arnsteiner Patres Jesuitenplatz 4 ■ 56068 Koblenz Tel.: 02 61 9 12 63-0 ■ Fax: 02 61 9 12 63-14 E-Mail: Koblenz@sscc.de Arnsteiner Patres Kardinal-von-Galen-Straße 3 ■ 59368 Werne Tel.: 0 23 89 97 00 ■ Fax: 0 23 89 97 01 11 E-Mail: Werne@sscc.de Arnsteiner Patres, Provinzialat Johannesstraße 36 A ■ 56112 Lahnstein Tel.: 0 26 21 9 68 80 ■ Fax: 0 26 21 96 88 30 E-Mail: Provinzialat@sscc.de Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Immenstädter Straße 50 ■ 87435 Kempten Tel.: 08 31 5 12 36 80 ■ Fax: 08 31 51 23 68 19 Kloster Arnstein 56379 Obernhof/Lahn Tel.: 0 26 04 9 70 40 ■ Fax: 0 26 04 16 06 E-Mail: KlosterArnstein@sscc.de Niederlassung der Deutschen Provinz in Belgien: Pères des Sacrés Coeurs Rue de Marchienne, 12 ■ B-6000 Charleroi Tel.: 00 32 71 32 39 97 ■ Fax: 00 32 71 32 81 78 www.arnsteiner-patres.de