Segensfeiern für homosexuelle Paare

Ein mutiger Schritt

Mitte März 2021 versuchte die Glaubenskongregation die Debatte um Segnungsfeiern für homosexuelle Paare zu beenden. „Die Kirche habe dazu keine Vollmacht“ hieß es in dem Schreiben der vielleicht mächtigsten vatikanischen Behörde. Dieser deutliche Hinweis platzte mitten in die Beratungen des Synodalen Weges, die sich ebenfalls mit diesem Thema befassen. Die Reaktionen der deutschen Bischöfe waren sehr unterschiedlich.  Die Verantwortlichen des Synodalen Weges erklärten, das diese Frage weiter auf ihrer Agenda bliebe. Unser Redakteur Thomas Meinhardt fragte Stefan Diefenbach, wie er die weitere Entwicklung beurteilt. Der Theologe war Mitglied der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen und hat gerade ein Buch zum Thema herausgegeben.

 

Was spricht eigentlich aus Sicht der römischen Glaubenskongregation gegen Segensfeiern für homosexuelle Paare?

Stefan Diefenbach: Aus ihrer Sicht ist alles, was mit Sexualität zu tun hat und nicht Mann und Frau betrifft, in der Natur nicht angelegt. Sexualität muss nach dieser Sichtweise immer auf die Zeugung von Nachkommen innerhalb der Ehe gerichtet sein. Da dies bei gleichgeschlechtlich Liebenden nicht der Fall ist, könne es hier auch keine Segensfeier geben. Ein nach diesem Verständnis falsches und sündhaftes Tun würde bestätigt.

Was ist der Hintergrund diese Argumentation?

Dahinter steht eine Naturrechtsvorstellung, die in der Kirche lange Zeit vorherrschte. Heute gilt sie als überholt und wird nur noch in Bezug auf die Sexualmoral herangezogen. Deswegen wird diese Argumentation von vielen Seiten kritisiert. Sie beruht auf Voraussetzungen, die in der wissenschaftlichen Debatte nicht mehr ernsthaft vertretbar sind. Aber selbst entlang einer naturrechtlichen Argumentation ist die Behauptung, dass gleichgeschlechtliche Liebe nur ein Unfall der Natur sei, nicht aufrechtzuerhalten. Mittlerweile gibt es wissenschaftlich eigentlich keinen Zweifel mehr daran, dass es auch im Tierreich an vielen Stellen gleichgeschlechtliche Beziehungen gibt und sehr unterschiedliche Formen der Sexualität. 

Die Moraltheologie geht heute von der Personenwürde aus und von Liebe als gegenseitiger Achtung und Anerkennung. Es ist ein personaler Ansatz und nicht mehr ein naturrechtlicher.

Würden Sie sagen, dass diese naturrechtliche Argumentation eine ähnliche Qualität hat, wie die Ignoranz gegenüber Galileo – sprich: Nimmt die kirchliche Hierarchie den Stand der Wissenschaft schlichtweg nicht zur Kenntnis?

Sie nimmt ihn vielleicht wahr, aber begibt sich gleich in eine defensive Abwehrhaltung nach dem Motto: Die Kirche befindet sich in der Wahrheit und alles was von Außen gegen bestimmte Glaubenssätze vorgebracht wird, wird als Angriff erlebt.

Bei einer Veranstaltung vor zwei Jahren diskutierten im Frankfurter Haus am Dom viele renommierte Theologinnen und Theologen über dieses Thema. Am Ende des Tages sagte ein Ordenspriester, der an der Kurie in Rom arbeitete, sinngemäß: Das sind ja alles gute Argumente, aber die Lehre der Kirche ist gut und richtig! Da diskutieren wir einen ganzen Tag sehr differenziert und am Ende wischt jemand mit einem solchen Satz einfach alles vom Tisch. Ich war erschüttert darüber, dass die römische Kurie offensichtlich nicht mehr bereit ist, selbst theologische Argumente ernsthaft wahrzunehmen. Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Wenn eine Konzernzentrale ihrer eigenen Entwicklungs- und Marketingabteilungen überhaupt nicht mehr zuhört, sondern einfach nur so weiter macht wie immer, dann steht es wirklich schlecht um das Unternehmen. Und das erleben wir gerade. 

Es geht mir nicht um eine unkritische Übernahme neuer Erkenntnisse, aber wenn wir als Kirche nicht mehr lernfähig sind, dann wird es düster.

Andererseits bin ich nach den Reaktionen auf das Schreiben der Glaubenskongregation zum Verbot von Segensfeiern nicht mehr ganz so pessimistisch. So viele Solidaritätsbekundungen – bis hin zur Beflaggung von Kirchen am 10. Mai – und soviel Aufmerksamkeit für ein solches Thema wären kaum möglich, ohne den Versuch aus Rom, dieses Thema einfach abräumen zu wollen. Das wollten sich auch viele Bischöfe nicht bieten lassen. Ich denke, dass solche Versuche, eine Diskussion administrativ beenden zu wollen, heute meist dazu führen, dass sich mehr Menschen damit beschäftigen. Damit werden Veränderungen eher angestoßen. So hat der Satz von Johannes Paul II., dass die Weihe von Frauen ausgeschlossen sei, nur dazu geführt, dass immer mehr Menschen genauer studiert haben, was hinter solchen Aussagen steckt und ob diese im Lichte der theologischen Forschung überhaupt aufrecht zu erhalten sind.

Weshalb wollen eigentlich Menschen ihre Beziehung von Vertretern einer Institution segnen lassen, die die Form ihrer Beziehung grundsätzlich ablehnt?

Weil sie in der Kirche beheimatet sind. Weil diese Kirche sich weltweit für Ziele, die auch für sie wichtig sind – wie Frieden, soziale Gerechtigkeit, Geschwisterlichkeit – einsetzt. Weil sie sich von der Botschaft dieses Jesus von Nazareth inspiriert fühlen und sich in dieser Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern geborgen fühlen.

Auch mir persönlich geht es so. Ich bin in diese Gemeinschaft hinein getauft worden, habe die Sakramente empfangen und war von klein auf in der Kirche beheimatet. Und nun soll eine so bedeutsame Entscheidung für ein gemeinsames Leben mit einem anderen Menschen, für den ich auch Verantwortung übernehme, keinen Ort haben in dieser Gemeinschaft?

Die Kirche vor Ort ist hier schon sehr viel weiter. Bei der Mitarbeit in der konkreten Gemeinde spielt es nach meiner Erfahrung keine Rolle, ob die Menschen wiederverheiratete Geschiedene sind oder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben. So erlebe ich dies auch mit meinem Mann Walter in der Kolpingfamilie, in meiner Heimatpfarrei in Lahnstein oder auch in der Frankfurter Pfarrei, in der ich lebe und Mitglied des Pfarrgemeinderates bin.

Der Hoffnung vieler, die sich eine kirchliche Segensfeier wünschen, ist, dass diejenigen, die qua Amt als Priester für die Kirche sprechen, das aussprechen, was im Kirchenvolk schon da ist, nämlich, dass Gott den Weg eines Paares mitgeht. Es ist schon eine andere Qualität, wenn einem so der Segen vor der Gemeinde für seine Beziehung zugesprochen wird. Segen ist ja keine Belohnung für irgendwas, sondern die Bekräftigung der Überzeugung, dass Gott die Wege mitgeht. 

Was ist Ihrer Meinung nach der Kern einer kirchlichen Segensfeier?

Der Auftrag Jesu ist, die Menschen auf ihrem Lebensweg zu begleiten, ihnen das Gute zuzusagen, sie wiederaufzurichten, sie zu heilen, die Liebe Gottes zu vermitteln. Von daher ist es Aufgabe des kirchlichen Amtes, als Seelsorgende dafür zu sorgen, dass dies auch geschieht. Gerade da, wo Menschen als Christen miteinander ihr Leben teilen, füreinander Verantwortung übernommen haben, stärkt ein solcher Segen den gemeinsamen Bund von zwei Menschen. Beziehungen sind – wie wir ja alle wissen – häufig durchaus fragil. Es macht deutlich, dass Gott diese Beziehung begleitet und sie bejaht als Lebensentscheidung füreinander.

Sie haben im letzten Jahr gemeinsam mit anderen ein Buch zur Praxis von Segensfeiern herausgebracht. Was war Ihre Intention?

Wir wollten nicht nur theoretisch und theologisch das Thema beleuchten, sondern auch zeigen, wie die Praxis schon heute aussieht. Segensfeiern für wiederverheiratet Geschiedene gibt es meines Wissens nach schon seit 40, Segnungen von gleichgeschlechtlich Liebenden sicher auch schon seit 30 Jahren.

Für das Buch haben wir 35 Beispiele aus den letzten Jahren ausgesucht, die zeigen, wie verantwortungsvoll alle Beteiligten mit einer Situation umgehen, die es offiziell nicht geben soll, die sie sich aber sehnsüchtig wünschen. Alle versuchen, möglichst nicht das Ehesakrament zu imitieren, um den Priester oder die Seelsorgerinnen und Seelsorger nicht in große Schwierigkeiten zu bringen. Und alle versuchen, sehr kreativ und mit sehr viel Verantwortung diese Feiern zu gestalten. Das wollten wir zeigen und damit ausdrücken, dass niemand vor diesen Segensfeiern Angst haben muss.

Welche Reaktionen haben Sie auf dieses Buch erhalten?

Es gab bisher keine negativen Reaktionen. Das Buch verstehen wir als Diskussionsbeitrag. Wir sagen nicht, genau so oder so sollte es gemacht werden. Dieser Ansatz hat immerhin dazu geführt, dass ein Weihbischof das Vorwort übernommen hat, was vor fünf oder zehn Jahren sicher nur sehr schwer möglich gewesen wäre. Die Beispiele sind sehr unterschiedlich, gehen aber tendenziell in die Richtung, dass der Segen von einem Priester, einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger offiziell in einer Kirche oder Kapelle gespendet wird. Dies geschieht in der Regel im Rahmen einer Wort-Gottes-Feier – also nicht in einem Nebenraum und verschämt, sondern dort, wo sich die Gemeinde versammelt und auch Eucharistie feiert. Diese Elemente wünschen sich offensichtlich die meisten Paare.

Was wünschen Sie sich in dieser Frage vom Synodalen Weg?

Unabhängig davon, wie die Debatten beim Synodalen Weg ausgehen werden, wird es immer gleichgeschlechtlich Liebende geben, die sich nach einem offiziellen kirchlichen Segen für ihre Partnerschaft sehnen. Und es wird immer Seelsorger und Seelsorgerinnen geben, die sich diesem Wunsch nicht verweigern wollen, weil er ihrem tiefsten Verständnis als Seelsorger:innen entspricht. Viele Katholik:innen auf der ganzen Welt schauen auf uns in Deutschland und ermutigen uns weiterzumachen. Sie erhoffen sich davon, dass dies dazu führt, dass in der gesamten Weltkirche die Spielräume erweitert werden. 

Deshalb bemühen wir uns jetzt auch eine Kurzfassung des Buches erstmal in Sprachen zu übersetzen, aus deren Bereich wir Anfragen erhalten haben. Dann wollen wir diesen Diskussionsbeitrag auch über die Sozialen Netzwerke verbreiten, so dass die Debatte immer internationaler geführt werden kann. Diesen internationalen Horizont habe ich sicherlich aus meiner Zeit in der Ordensgemeinschaft, die sich immer als weltweite Gemeinschaft verstanden hat. Das ist eines der großen Geschenke, das ich der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen verdanke. Es gab fast überall Schwestern und Brüder, und wenn ich dorthin kam, war ich immer zu Hause. 

Im Rahmen des Synodalen Weges gab es viele ernsthafte Diskussionen, bei denen zwar keine inhaltliche Übereinstimmung erzielt wurde, die aber das gegenseitige Verständnis gefördert haben. Einige der Teilnehmenden haben mir von sehr bewegenden Momenten bei Fragen wie der Öffnung von Ämtern für Frauen oder Leben in gelingenden Beziehungen berichtet. Dies bestätigt sich für mich in Äußerungen von Bischöfen, die ich vor fünf oder zehn Jahren noch für ausgeschlossen gehalten hätte. Insoweit hat der Synodale Weg schon jetzt einiges bewegt. Selbst wenn am Ende keine Beschlüsse herauskommen, die sofort umgesetzt werden, so ist meines Erachtens bei einigen Themen eine Dynamik entstanden, die nicht mehr unter Verschluss gehalten werden kann.

Hier vertraue ich auf das biblische Wort: Wenn es von Gott ist, dann wird es weitergehen; wenn es nicht von Gott kommt, wird es irgendwann verschwinden. Das kann dann auch kein päpstliches oder römisches Basta verhindern.

Aber Sie erwarten vom Synodalen Weg in Deutschland ein deutliches Zeichen?

Ja, eine klare Positionierung. Es wird dann immer welche geben, die sagen: Das ist nicht mein Weg. Das ist auch okay. Wer damit Schwierigkeiten hat, solche Segnungen durchzuführen, der sollte dies nicht tun müssen. Andererseits sollten die Bedenken einiger nicht dazu führen, allen anderen dies zu verbieten. Ich hoffe, dass es gelingt, die Segnungsfeiern endlich aus dieser Grauzone herauszuholen und sie offiziell zu ermöglichen. Durch eine solche Positionierung in Deutschland würde auch in der weltweiten Kirche etwas in Bewegung gebracht, Spielräume eröffnet, die alle weiterbringen.

Interview: Thomas Meinhardt (Redakteur der Zeitschrift Apostel)