Frieden schaffen - mit Waffen

»Wer heute über Krieg und Frieden sprechen will, muss zuerst seinen Standpunkt bezeichnen«, schrieb Reinhold Schneider im Jahr 1951 gleich am Anfang seines Beitrags »Mein Bekenntnis zum Frieden« für die Zeitschrift »Der Christ in der Welt«. Nun hat die Redaktion des »Apostel« mich gebeten, im gegenwärtigen Streit über deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine meinen »Standpunkt« kurz zu skizzieren. Immerhin kann ich ihn kurz und bündig zusammenfassen: Ich halte Waffenlieferungen an die Ukraine im Prinzip für moralisch gerechtfertigt und politisch notwendig. Ist das ein christlicher »Standpunkt« im Sinne Schneiders? Ganz bestimmt nicht, hat er doch an anderer Stelle unmissverständlich erklärt: »Das eine ist klar: Die Evangelien verwerfen die Gewalt, die Blut vergießt. Auf die Versuche, aus den Evangelien ein Recht zum Kriege zu beziehen, brauchen wir kaum mehr einzugehen. (…) Man braucht nur ›Auslegungen‹ dieser Art zu zitieren, um darzutun, dass der Christ das Wort Christi nicht ernst nimmt, dass er es wendet, wie er will.«

Gegen eine solche Position lässt sich theologisch eigentlich nicht argumentieren, denn schon der Versuch dazu setzt einen selbst ins Unrecht, weil er per se das vollkommen klare Wort Christi verfälscht.

Ist es sinnvoll, Schneiders »Bekenntnis« mit einem Bekenntnis meinerseits zu widersprechen? Vermutlich nicht. In Sachen Krieg und Frieden könne durchaus, so hat er selber eingeräumt, Gewissen gegen Gewissen stehen. Und tatsächlich meine ich, nicht gewissenlos zu sein. Doch das hilft in der Sache nicht weiter, zumal ich gar nicht das Gefühl habe, auf einem »Standpunkt« zu stehen, also festen Boden unter den Füßen zu haben. Vielmehr bedrängt mich das Empfinden, mich fortwährend abzumühen, auf einer schwankenden Eisscholle halbwegs das Gleichgewicht zu halten, um nicht meinen Leitstern aus den Augen zu verlieren: eine Welt, in der es den Stärkeren verwehrt wird, die Schwächeren gefahrlos zu zertreten; in der das Unrecht nicht folgenlos über die Gerechtigkeit triumphiert; in der Gewalt nur dazu dient, noch schrecklichere Gewalt einzudämmen und vielleicht zu beenden. Mehr erhoffe ich mir nicht von der Anwendung legitimer Gegengewalt. Steht das im Gegensatz zum Evangelium Jesu Christi?

Schneider hat behauptet: »Jesus hat nicht die Notwehr geboten, sondern die Überwindung des Bösen durch das Gute.« Es gebe hier einen unauflösbaren Widerspruch zwischen Naturrecht und Bergpredigt. Das bedeutet jedoch, in Gott selbst einen Widerspruch anzunehmen, sprich: zwischen dem Schöpfer und dem Erlöser. Das meine ich als Christ und Theologe nicht akzeptieren zu dürfen und zu können. Denn das wäre tatsächlich ein Verrat am christlichen Glauben, der mit Jesus Christus an die Einheit von Schöpfer und Erlöser glaubt. Deshalb muss die Frage erlaubt sein, ob und wie sich Bergpredigt und Naturrecht – heute besser: Menschenrechte – allem Anschein zum Trotz doch miteinander vereinbaren lassen. Meine positive Ant­wort zu erläutern, würde den Rahmen dieser Skizze sprengen. Sie läuft auf die Überzeugung hinaus, dass weder Gewalt noch Gewaltverzicht als solche das Böse durch das Gute überwinden, schon gar nicht im Raum der Politik. Der Gewaltverzicht Jesu ­jedenfalls hat weder den Volkszorn gemindert noch seinen Tod am Kreuz verhindert. Das sollte auch Christen zu denken geben.

von Heinz-Günther Stobbe