Frieden! Hoffnungslos naiv?

Christusnachfolge in Zeiten des Krieges

Für Frieden einzutreten, ist in Deutschland derzeit nicht ganz einfach. Wer das einseitige Setzen auf Aufrüstung, Abschreckung und Waffenlieferungen problematisiert, wird öffentlich schnell als Putin-Freund geschmäht, der die Ukrainerinnen und Ukrainer der brutalen Willkürherrschaft der russischen Militärmaschinerie opfern wolle. Andererseits werden diejenigen, die vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf militärische Abschreckung setzen und mehr Waffenlieferungen zur Verteidigung an die Ukraine fordern, von anderen als Kriegstreiber bezeichnet, die einen Atomkrieg in Europa herausfordern.

Erst einmal einander zuzuhören, abzuwägen, die Argumente daraufhin abzuklopfen, was viel-leicht weiterführt, auch wenn nicht alles geteilt wird, das ist in der sehr aufgeheizten aktuellen Situation offensichtlich nur schwer möglich.

Das musste auch Papst Franziskus erfahren, als er – wie schon mehrmals zuvor – in einem Interview zu Verhandlungen aufrief, um das schreckliche Leiden der ukrainischen Bevölkerung in diesem grauenvollen Krieg zu beenden. Seine Wortwahl, in der er die ukrainische Regierung zum Hissen der »weißen Fahne« ermutigte, klang für viele nach einer Aufforderung zur Kapitulation. Diese Wortwahl war unglücklich, denn Papst Franziskus ging es, wie er weiter ausführte, nicht um Kapitulation, sondern um einen Waffenstillstand und um Verhandlungen unter der Leitung von Staaten, die sich als internationale Vermittler anbieten. Er wendete sich damit an die Seite, die er für überhaupt ansprechbar hielt und deren Bevölkerung unter diesem Krieg am meisten zu leiden hat. Seine Grundeinschätzung, dass die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen und höchstens – mit massiver westlicher Unterstützung – einen Sieg Putins verhindern kann, wird auch von der großen Mehrheit der militärisch verantwortlichen Generäle im Westen geteilt. Doch seine Bitte, in dieser Lage alles zu tun, um weiteres schreckliches und sinnloses Blutvergießen zu stoppen, brachte ihm viele diffamierende und wütende Kommentare aus Politik und Presse ein.

Papst Franziskus spricht dabei aus einer Perspektive, die die ganze Welt in den Blick nimmt. Er weiß, dass neben den Kriegen in der Ukraine und in Gaza derzeit mehr als 50 Kriege und Bürgerkriege vornehmlich in Ländern das »Globalen Südens« toben. Als Beispiele wären Äthiopien, der Osten der DR Kongo, der Sudan, Syrien oder Myanmar zu nennen. Jedes Jahr fordern diese Kriege Hunderttausende von Menschenleben, zerstören die zivile Infrastruktur und die Agrarflächen und damit die Lebenschancen von Millionen Menschen. Vergewaltigungen werden als Kriegswaffe eingesetzt. Unzählige bleiben durch die Gewalterfahrung traumatisiert zurück und geben die Traumata an künftige Generationen weiter.

Und Papst Franziskus weiß, dass die Menschen in Afrika, Lateinamerika und Südasien schon sehr lange mit multiplen Krisen irgendwie leben müssen, und zwar unter ungleich schwierigeren Bedingungen als wir in Europa. Die Rückkehr des Hungers, die oft katastrophale Gesundheitsversorgung, die fehlende Rechtssicherheit im Alltag und vor allem eine fundamentale Aussichtslosigkeit prägen ihren Alltag. Die Klimaerhitzung und die wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine verschärfen ihre Lage weiter.

Der russische Angriffskrieg und die zunehmende Konfrontation zwischen China und den USA haben zudem noch weitere zentrale Auswirkungen auf die ganze Welt: Eine große weltweite Aufrüstungswelle entzieht nicht nur dringend benötigte Ressourcen, die zunehmende Konfrontation zwischen der Achse China/Russ­land und dem »Westen« beeinträchtigt stark die Möglichkeiten internationaler Kooperation bei der Bewältigung der Menschheitskrisen – und das mit unabsehbaren Folgen! Denn: Ohne starke gemeinsame Anstrengungen sind die Großkrisen »Klimaerhitzung«, »Hunger«, »Artensterben« … nicht einzudämmen, geschweige denn zu bewältigen. Ein Schweigen der Waffen und ein gerechter Frieden für die Ukraine durch Diplomatie und Verhandlungen sind essenziell für die Menschen auf dem gesamten Globus.

Mit den Beiträgen dieser Titelstrecke möchten wir dazu ermutigen, einen Schritt zurückzutreten, zuzuhören, abzuwägen und keine vorschnellen Urteile zu fällen. Wir wollen Anstöße geben, nach Wegen zu suchen, einen gerechten Frieden zu fördern, denn »Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts«.

Die Staaten und auch die Menschen in Afrika, Lateinamerika und Südasien erwarten, dass die westlichen Industriestaaten ihnen endlich auf Augenhöhe begegnen, dass sie als gleich-berechtigte Partner anerkannt und ihre Interessen berücksichtigt werden. Eine neue, gerechtere, stabilere und Sicherheit garantierende globale Friedensordnung wird nur dann eine Chance haben, wenn die Interessen der Menschheit insgesamt berücksichtigt werden. Oder, um es mit Papst Franziskus zu sagen, wenn wir uns weltweit als Brüder und Schwestern begreifen, die gemeinsam für das Leben auf dieser Erde verantwortlich sind.

Das Schweigen der Waffen ist eine wichtige Voraussetzung, doch Frieden ist noch viel mehr. Frieden ist ein immerwährender Prozess, der die Zunahme sozialer Gerechtigkeit unbedingt einschließt sowie die Schaffung einer Kultur des Friedens zwischen Menschen innerhalb einer Gesellschaft und zwischen Gesellschaften. Frieden um-fasst verschiedene Ebenen: eine internationale Friedensordnung mit klaren völker-rechtlich verpflichtenden Regeln, das Leben in Frieden und Sicherheit innerhalb eines Landes garantiert durch Rechtssicherheit und den Frieden in unserem Herzen und die Bereitschaft, in der Familie, mit unseren Nachbarn in Frieden zu leben. Auch der Frieden mit der ausgebeuteten, gering geachteten »Natur« gehört dazu. Alle diese Ebenen beeinflussen sich gegenseitig und eröffnen jeder und jedem, sich auf den für ihn und sie jeweils möglichen Wegen für Frieden einzusetzen,  für Christinnen und Christen eine der vornehmsten Aufgaben in der Nachfolge Jesu Christi.