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Der Beitrag ist in der Ausgabe 1/2024 unserer Ordenszeitschrift »Apostel« erschienen.
Frieden schaffen - mit Waffen
»Wer heute über Krieg und Frieden sprechen will, muss zuerst seinen Standpunkt bezeichnen«, schrieb Reinhold Schneider im Jahr 1951 gleich am Anfang seines Beitrags »Mein Bekenntnis zum Frieden« für die Zeitschrift »Der Christ in der Welt«. Nun hat die Redaktion des »Apostel« mich gebeten, im gegenwärtigen Streit über deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine meinen »Standpunkt« kurz zu skizzieren. Immerhin kann ich ihn kurz und bündig zusammenfassen: Ich halte Waffenlieferungen an die Ukraine im Prinzip für moralisch gerechtfertigt und politisch notwendig. Ist das ein christlicher »Standpunkt« im Sinne Schneiders? Ganz bestimmt nicht, hat er doch an anderer Stelle unmissverständlich erklärt: »Das eine ist klar: Die Evangelien verwerfen die Gewalt, die Blut vergießt. Auf die Versuche, aus den Evangelien ein Recht zum Kriege zu beziehen, brauchen wir kaum mehr einzugehen. (…) Man braucht nur ›Auslegungen‹ dieser Art zu zitieren, um darzutun, dass der Christ das Wort Christi nicht ernst nimmt, dass er es wendet, wie er will.«
Gegen eine solche Position lässt sich theologisch eigentlich nicht argumentieren, denn schon der Versuch dazu setzt einen selbst ins Unrecht, weil er per se das vollkommen klare Wort Christi verfälscht.
Ist es sinnvoll, Schneiders »Bekenntnis« mit einem Bekenntnis meinerseits zu widersprechen? Vermutlich nicht. In Sachen Krieg und Frieden könne durchaus, so hat er selber eingeräumt, Gewissen gegen Gewissen stehen. Und tatsächlich meine ich, nicht gewissenlos zu sein. Doch das hilft in der Sache nicht weiter, zumal ich gar nicht das Gefühl habe, auf einem »Standpunkt« zu stehen, also festen Boden unter den Füßen zu haben. Vielmehr bedrängt mich das Empfinden, mich fortwährend abzumühen, auf einer schwankenden Eisscholle halbwegs das Gleichgewicht zu halten, um nicht meinen Leitstern aus den Augen zu verlieren: eine Welt, in der es den Stärkeren verwehrt wird, die Schwächeren gefahrlos zu zertreten; in der das Unrecht nicht folgenlos über die Gerechtigkeit triumphiert; in der Gewalt nur dazu dient, noch schrecklichere Gewalt einzudämmen und vielleicht zu beenden. Mehr erhoffe ich mir nicht von der Anwendung legitimer Gegengewalt. Steht das im Gegensatz zum Evangelium Jesu Christi?
Schneider hat behauptet: »Jesus hat nicht die Notwehr geboten, sondern die Überwindung des Bösen durch das Gute.« Es gebe hier einen unauflösbaren Widerspruch zwischen Naturrecht und Bergpredigt. Das bedeutet jedoch, in Gott selbst einen Widerspruch anzunehmen, sprich: zwischen dem Schöpfer und dem Erlöser. Das meine ich als Christ und Theologe nicht akzeptieren zu dürfen und zu können. Denn das wäre tatsächlich ein Verrat am christlichen Glauben, der mit Jesus Christus an die Einheit von Schöpfer und Erlöser glaubt. Deshalb muss die Frage erlaubt sein, ob und wie sich Bergpredigt und Naturrecht – heute besser: Menschenrechte – allem Anschein zum Trotz doch miteinander vereinbaren lassen. Meine positive Antwort zu erläutern, würde den Rahmen dieser Skizze sprengen. Sie läuft auf die Überzeugung hinaus, dass weder Gewalt noch Gewaltverzicht als solche das Böse durch das Gute überwinden, schon gar nicht im Raum der Politik. Der Gewaltverzicht Jesu jedenfalls hat weder den Volkszorn gemindert noch seinen Tod am Kreuz verhindert. Das sollte auch Christen zu denken geben.
von Heinz-Günther Stobbe
Frieden schaffen - ohne Waffen
Die Lehre in der katholischen Kirche vom rechten Einsatz militärischer Mittel, die Lehre vom gerechten Krieg, ist im 20. Jahrhundert nach der Erfahrung von zwei Weltkriegen in eine tödliche Krise geraten. Die Zerstörungskraft moderner Waffen ist zu groß, als dass mit den Kriterien dieser Lehre noch Krieg, weder Angriffskrieg noch Verteidigungskrieg, gerechtfertigt werden könnte.
Man sieht es in der Ukraine. Es wird zerstört, was doch verteidigt werden soll. Es werden Menschenleben in Massen vernichtet, die doch gebraucht würden, um einen Frieden überhaupt leben zu können. »Der Krieg ist ein Wahnsinn.« (Papst Franziskus)
Man sieht es im Staat Israel. Auf Gewalt mit militärischer Gewalt zu reagieren, führt in einen immer tödlicheren Kreislauf der Gewalt. Wird in Gaza ein einziger junger Mann übrig bleiben, der nicht tödlichen Hass auf den Staat Israel entwickelt?
Kollektive Notwehr mit Waffengewalt ist ein Denkfehler. Individuelle Notwehr versucht, jemanden zu stoppen, der ein Unrecht begeht. Individuelle Notwehr, wenn erfolgreich, ist ein Dienst am Nächsten; er wird vom Unrechttun abgehalten. Bei moderner kollektiver Notwehr dagegen wird ein Schlachten veranstaltet, sodass Unbeteiligte ganz zwangsläufig mit betroffen sind. Da wird Zerstörung produziert, die gerade Unbeteiligte trifft. Das auch einem Kollektiv zustehende Recht auf Verteidigung trifft hier auf individuelle Menschenrechte, wie das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Wohnung usw. In jedem anderen Fall, wo mein Recht das Recht eines anderen berührt, bin ich gehalten, die Ausübung meines Rechtes anzupassen.
Das skizzierte ethische Dilemma kollektiver Verteidigung ist auch ein theologisches. Denn die unbedingte Würde jedes einzelnen Menschen ist Grundüberzeugung des Christentums: »Als Christen ist uns der absolute Wert des Menschen, und zwar jedes Menschen Gewissheit, denn das besagt die Botschaft ja, dass (…) jedem Menschen, ganz abgesehen von seinen besonderen positiven oder negativen Qualitäten die ganze Liebe und Hingabe Gottes gehört. Der lebendige Gott gab den einen Sohn seines Wohlgefallens für den Menschen, für alle und für jeden einzelnen, und offenbarte damit, dass er jeden als sein Kind ansieht und haben will, die Guten und die Bösen, die Gerechten und die Ungerechten. Er gab seinen Sohn: Das ist der Mensch ihm wert!« (Martin Niemöller, 1960)
Niemöller hatte recht, wenn er urteilt: »Der Christ, der die Gewaltanwendung für eine Möglichkeit hält, um den Frieden zu gewinnen, zu fördern, zu sichern, der urteilt nicht als Christ, sondern auf Grund eigener Gedanken und Anschauungen, die er vielleicht für christlich halten mag und für die er sich allerdings auf eine lange kirchliche Tradition berufen kann; nur auf einen kann er sich dabei nicht berufen: auf Jesus, und eben so wenig auf seine apostolischen Zeugen!« (ebd.)
Christen kämpfen nicht gegen Fleisch und Blut, sie kämpfen gegen Mächte und Gewalten, sie sind eingeladen auf den dritten Weg Jesu (Walter Wink). Wie der Apostel Paulus sagte: »Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen, wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken; tust du das, dann sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt. Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!« (Römerbrief 12,20–21).