Lebenswege 1800–1900
Marie-Joseph (Pierre) Coudrin
Ursprünglich heißt er Pierre, nimmt aber den Namen Marie Joseph an, als er gemeinsam mit Henriette Aymer de la Chevalerie im Jahre 1800 in Frankreich die Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen gründet.
Pierre Coudrin wurde am 1. März 1768 in Coussay-les-Bois als sechstes von insgesamt acht Kindern geborgen. Da er wuchs in einem frommen Elternhaus aufwuchs, war es nicht überraschend, dass er im Jahre 1785 in der Bischofsstadt Poitiers die philosophisch-theologischen Studien aufnahm und 1789 in das Priesterseminar eintrat.
In diesem Jahr begann in Frankreich die Revolution. Neben der Abschaffung von Standesprivilegien wurde auch die Abtrennung der Kirche von Rom betrieben. Bischöfe und Priester, die sich dieser Entwicklung entgegenstellten, wurden abgesetzt und verfolgt. Als auch der Bischof von Poitiers abgesetzt wurde, musste Pierre Coudrin als Diakon sein Studium abbrechen. 1792 wurde er in Paris heimlich zum Priester geweiht. In dieser Zeit schlug die Revolution eine Schreckensherrschaft um. Die Verfolgung richtete sich gegen den Adel und die Vertreter der alten Königsherrschaft, aber auch gegen die romtreuen Priester und Bischöfe.
Nachdem Pierre Coudrin bei seiner Primizfeier in Coussay-les-Bois die Religionspolitik des Regimes kritisiert hatte, musste sich Pierre Coudrin fünf Monate lang in einem winzigen Verschlag vor der Polizei verstecken und fühlte sich so sehr abgeschnitten von der Welt, dass er glaubte, er sei als einziger Priester in Frankreich übrig geblieben. Jeden Tag feierte er um Mitternacht mit seiner Gastfamilie Eucharistie und verbrachte dann den Tag in der Gegenwart Gottes. Dabei kam ihm einmal eine Vision vor Augen: eine Gruppe von Missionaren, gestützt von einer Gesellschaft von Frauen, werde sich unter seiner Führung zusammenfinden und das „Evangelium überall verbreiten“.
Am 20. Oktober 1792 hielt es ihn nicht länger in seinem Versteck. Er machte sich auf den Weg nach Poitiers, um diesem Ruf zu folgen. Er war bereit, auch sein Leben dafür einzusetzen und entwickelte eine spannende Untergrundtätigkeit, die Wilhelm Hünermann in seinem Buch „Die Herrgottsschanze“ wie einen Krimi beschrieben hat.
In Poitiers traf Pierre Coudrin auf auf die „Vereinigung vom Heiligsten Herzen Jesu“ und ihre Leiterin Henriette Aymer de la Chevalerie. Coudrin wurde der geistliche Leiter dieser Gruppe und arbeitete zusammen mit Henriette an der Gründung einer neuen Ordensgemeinschaft von Männern und Frauen, die den Parolen des Terrors die Botschaft der Liebe Gottes entgegensetzen wollten. Die "Kongregation von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens und der Ewigen Anbetung des Allerheiligsten Altarsakramentes" wurde durch die öffentlichen Gelübde der beiden Stifter in der Weihnacht 1800 gleichsam offiziell aus der Taufe gehoben. Pierre Coudrin war zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre alt, Henriette Aymer 33 Jahre alt.
Die neue Ordensgemeinschaft wollte in Treue zum Papst an der Erneuerung der Kirche Frankreichs arbeiten. Die Patres hielten Volksmissionen und arbeiteten in der Ausbildung junger Priester, die Schwestern eröffneten Schulen für die Erziehung der Jugend. Coudrin war als Generalvikar in verschiedenen Diözesen tätig, versuchte aber auch von Anfang an, Missionare in andere Länder zu entsenden. Am 20. November 1826 konnten die ersten Missionare zu den Hawaii-Inseln reisen. In Valparaíso in Chile wurde eine Niederlassung eröffnet, von der aus schon bald ganz Südamerika erschlossen werden sollte. 1834 erreichten die Missionare von den Heiligsten Herzen die Gambier-Inseln, 1836 Tahiti und 1838 die Marquesas-Inseln.
In der Leitung der jungen Gemeinschaft ergänzten sich Pierre Coudrin und Henriette Aymer gegenseitig aufs Glücklichste: Er sorgte für den nötigen Rückhalt bei den Bischöfen und sie bereitete die zahlreichen Neugründungen vor, nahm sich der Dinge des täglichen Lebens an und stattete die ausziehenden Missionare und Missionarinnen aus — mit den nötigen materiellen Dingen und mit ihrer Begeisterung.
Beide waren aber vor allem große Beter. Die Zeit vor dem Tabernakel wurde ihnen nicht lang, und daraus zogen sie ihre Kraft. Nicht nur äußere Umstände bedrängten sie, als sie ihre Gründung „in großer Armut“ ins Werk setzten. Auch innere Meinungsverschiedenheiten gab es und Störungen im Zusammenleben, wie sie wohl zu jeder Familie gehören.
Als Henriette Aymer 1834 starb, lebte P. Coudrin noch drei Jahre, bis im März 1837 eine lebensgefährliche Krankheit den nahen Tod ankündigte. Auf dem Sterbebett bedrängte den Gründer die Sorge um die Zukunft und die Einheit der Gemeinschaft. Seine letzten Worte galten den Missionsgründungen: "Gambier, Valparaíso".
Am 27. März 1837, am Ostermontag starb er. Er wurde auf dem Friedhof des Mutterhauses der Gemeinschaft in der Rue de Picpus beigesetzt, neben der Gründerin und Bischof Chabot, einem großen Freund und Förderer der jungen Ordensgemeinschaft.
Henriette Aymer de la Chevalerie
Henriette Aymer de la Chevalerie wurde am 11. August 1767 in St. Georges-de-Noisné als Tochter einer adeligen Familie vom Land geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters verließ die Familie ihr Anwesen und siedelte nach Poitiers über, wo das junge und lebensfrohe Mädchen in den höheren Kreisen der Gesellschaft bald bekannt und beliebt war. Der eher oberflächliche Lebensstil, der die Epoche kennzeichnete, darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die Familie im Grunde religiös und kirchentreu war.
Als die Revolution ausbrach, gewährten Mutter und Tochter einem verfolgten Priester Unterschlupf, was sie beide in große Gefahr bringen sollte. Als die Polizei am 22. Oktober den Priester entdeckte, wurden sie in Gefängnis gebracht. Mit knapper Not entgingen sie der Guillotine und kamen erst im September 1794 nach der Hinrichtung Robespierres und dem Ende des Terrors wieder frei.
In dieser Zeit der Gefangenschaft erlebte Henriette eine innere Wandlung. Sie legte eine Lebensbeichte ab und begann ein ernsthaftes geistliches Leben. Sie schloss sich einer Gruppe von jungen Frauen an, die sich als "Gesellschaft des Herzens Jesu" dem Gebet und karitativen Aufgaben widmeten. Dort traf sie auf Pierre Coudrin, der seit einiger Zeit der geistliche Leiter dieser Gruppe war. Beide wurden die Gründer einer neuen Gemeinschaft von Männern und Frauen, die den Parolen des Terrors die Botschaft der Liebe Gottes entgegensetzte. Die "Kongregation von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens und der Ewigen Anbetung des Allerheiligsten Altarsakramentes" wurde durch die öffentlichen Gelübde der beiden Gründer in der Weihnacht 1800 gleichsam offiziell aus der Taufe gehoben.
Die neue Ordensgemeinschaft wollte in Treue zum Papst an der Erneuerung der Kirche Frankreichs arbeiten. Die Patres hielten Volksmissionen und arbeiteten in der Ausbildung junger Priester, die Schwestern eröffneten Schulen für die Erziehung der Jugend. Bald gingen die ersten Mitglieder der Gemeinschaft auch als Missionare in auswärtige Missionen.
In der Leitung der Gemeinschaft arbeiteten Mutter Henriette und Pater Coudrin eng zusammen und ergänzten sich gegenseitig aufs Glücklichste: Er sorgte für den nötigen Rückhalt bei Bischöfen, sie bereitete die zahlreichen Neugründungen vor, nahm sich der Dinge des täglichen Lebens an und stattete die ausziehenden Missionare und Missionarinnen aus — mit den nötigen materiellen Dingen und mit ihrer Begeisterung. Ihre Eingebungen und Visionen, die sie auf die Anordnungen Pierre Coudrins in den sogenannten „Billets“ niederschrieb, haben weithin die Spiritualität der Ordensgemeinschaft geprägt. Beide waren aber vor allem große Beter. Die Zeit vor dem Tabernakel wurde ihnen nicht lang, und daraus zogen sie ihre Kraft.
Am 8. August 1804 kam Mutter Henriette nach Paris; am 22. März 1805 bezog sie mit einigen Schwestern das Mutterhaus in der Rue de Picpus. Ihre Sorge galt den zahlreicher werdenden Niederlassungen. Vor allem aber kümmerte sie sich um jede einzelne Schwester. Alle nannten sie liebevoll „la Bonne Mère“, die „Gute Mutter“.
Am 5. Oktober 1829 wurde sie infolge eines Schlaganfalls rechtsseitig gelähmt. Sie ertrug dieses Leiden, zu dem noch mancherlei seelische Nöte kamen, in großer Geduld. Am 23. November 1834 starb Mutter Henriette. P. Coudrin stand ihr im Tode bei. Sie fand ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof von Picpus, wo später auch der Gründer beigesetzt werden sollte.
Damian De Veuster
Der Name des heiligen Damian De Veuster ist untrennbar mit dem verknüpft, was man um 1860 als "lebendige Hölle" beschrieb: die Aussätzigenkolonie Molokai. Dort wurden die Leprakranken der Hawaii-Inseln in einer unmenschlich anmutenden Weise "entsorgt". Aus Angst, dass die neu eingeschleppte – und damals noch unheilbare – Krankheit die Bevölkerung ausrotten könnte, kippte man die Kranken wie Müll an das Ufer der entlegenen Insel, von der sie nicht entkommen konnten, und überließ sie dort ihrem Schicksal. Auf dieser Insel landete 1873 ein junger Mann, der vom anderen Ende der Welt gekommen war.
Joseph De Veuster wurde am 3. Jan. 1840 im flämischen Tremelo als siebtes von acht Kindern einer Bauernfamilie geboren. Er hatte zunächst auf Weisung seines Vaters eine Handelsschule besucht, trat dann aber nach dem Vorbild seines älteren Bruders August der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens an und nahm den Ordensnamen Damian an. 1863 sandte ihn der Orden als Ersatz für seinen an Typhus erkrankten Bruder in das damalige Königreich Hawaii.
Nach fast 150 Tagen auf See erreichte er Honolulu. In der dortigen Kathedrale wurde Damian am 21. Mai 1864 zum Priester geweiht. Danach arbeitete er als Priester auf der Insel Hawaii. Als der Bischof einen Seelsorger für die Aussätzigen suchte, die auf die Insel Molokaii deportiert wurden, meldete Damian sich als Freiwilliger.
Am 10. Mai 1873 kam er auf Molokaii an. Nachdem er erste Berührungsängste überwunden hatte, begann er, sich um die Ausgesetzten zu kümmern. Er pflegte ihre Wunden, sorgte für Kleidung und Medikamente, legte mit ihnen Äcker und Gärten an und ersetzte die alten Grashütten duch neue Holzhäuser. Er scheute sich nicht, die Kranken zu berühren und mit ihnen zu essen. Er baute eine Kirche und feierte täglich die Hl. Messe.
P. Damian De Veuster SSCC sollte 16 Jahre unter den Aussätzigen in Molokai leben und für sie der "Mann mit 36 Handwerken" sein, wie ein amerikanischer Besucher ihn beschrieb. Er war Gärtner, Wasser-Ingenieur, Schreiner, Verwalter und Vertreter der Abgeschobenen bei der Inselregierung. Er baute ein Waisenhaus, gründete ein Orchester und zimmerte selbst die Särge für die Verstorbenen. Vor allem aber war er Seelsorger und Priester. Durch sein Wirken wurde aus der "Insel der Verdammten" eine menschliche Siedlung, in der die Würde der Ausgestoßenen geachtet wurde.
1884 stellte man schließlich fest, dass auch Damian sich an der Lepra angesteckt hatte. Er wurde selbst aussätzig und äußerlich aufs Schlimmste von der Krankheit entstellt. Trotzdem arbeitete er weiter, bis schließlich seine Kräfte nachließen. Am Montag der Karwoche 1889, am 15. April starb Damian im Alter von 49 Jahren. Er wurde neben der von ihm erbauten Kirche auf Molokaii begraben. 1936 wurde sein Leib nach Belgien überführt und in der Krypta der Klosterkirche in Leuven beigesetzt.
1995 wurde er in Brüssel von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen. Sein Gedenktag ist der 10. Mai, der Tag, an dem er die Insel Molokaii betrat und seinem Leben eine entscheidende Wende gab.
Eine seiner eifrigsten Verehrerinnen von Pater Damian war Mutter Teresa. Im Mai 1984 schrieb sie an Papst Johannes Paul II: "Um die Arbeit der Liebe und Heilung bei den Aussätzigen weiterführen zu können, brauchen wir einen Heiligen, der uns führt und beschützt. Pater Damian könnte dieser Heilige sein - ein Heiliger und Martyrer von so großer Liebe."
Auch unter Nichtchristen wurde das Leben und Wirken von Pater Damian mit großem Respekt betrachtet. Mahatma Gandhi etwa sagte: "Die Welt der Politik und der Presse kennt nur wenige Helden, die mit Pater Damian von Molokai zu vergleichen sind. Die Mühe lohnt sich, nach der Quelle zu suchen, aus der so viel Heldentum kommt."
Am 11. Oktober 2009 wurde der Apostel der Aussätzigen von Papst Benedikt XIV. heilig gesprochen.
Literatur zu Damian De Veuster
- Kardinal Godfried Danneels: Damian. Ein Portrait. Aus Anlass der Seligsprechung 1995. Hg. von Karl H. Salesny. Unterwaltersdorf
- Gavan Daws: Damian De Veuster. Den Aussätzigen ein Aussätziger geworden. Mit einem Nachwort von Christian Feldmann. Herder Freiburg-Basel-Wien 1988
- Wilhelm Hünermann: Priester der Verbannten. Damian de Veuster, ein flämischer Held. Tyrolia. Innsbruck-Wien (9. Aufl.) 1986
- Aldyth Morris: Damian. Ein Theaterstück in zwei Akten. Manuskript. Münster 1993 (Original: „Damien“, The University Press of Hawaii, Honolulu 1980)
- Eduardo T. Gil de Muro: Seliger Damian De Veuster. Johannes-Verlag Leutesdorf (1. Aufl.) 1995
- Brigitte Muth-Oelschner: Damian De Veuster. Mit Liebe Lepra heilen. Steyler Verlag Nettetal 1989
- Brigitte Muth-Oelschner: Damian De Veuster. Beten Sie für uns Aussätzige. Die Briefe der letzten Jahre (1885-1889). Mit einem Vorwort von Bischof Klaus Hemmerle. Steyler Verlag Nettetal 1990
Wolfgang Poeplau: Ich will es – sei rein! Damian De Veuster. Ein Leben für die Aussätzigen. Hg. von den Arnsteiner Patres und dem Deutschen Aussätzigen Hilfswerk (Bildband)